Kommentar Wahlen in Tschechien: Schiffbruch mit Tiger
Die Parlamentswahlen haben Tschechien fast nur Verlierer und unübersichtliche Verhältnisse beschert. Die nächste Regierung wird schwach werden.
D ie tschechischen Parlamentswahlen haben vor allem eines hervorgebracht: Verlierer. Zwar sind die Sozialdemokraten die stärkste Partei im Land geworden – aber nur mit knapp 21 anstelle der 33 und mehr Prozent, die ihnen Umfragen lange vorhergesagt haben.
Abgewatscht wurden auch die anderen etablierten Parteien. Die einst mächtige konservative Bürgerpartei ODS kann angesichts ihrer 7,8 Prozent aufatmen, es überhaupt über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft zu haben. Und die Kommunisten, die gehofft hatten, durch Stimmenzuwachs zur Schlüsselfigur der künftigen Regierungsbildung zu werden, stagnieren bei ihren üblichen 15 Prozent, wegen derer sie niemand hofieren wird
Doch selbst der Unternehmer Andrej Babis, der mit seiner Protestbewegung ANO von der Politverdrossenheit des Wählers profitiert und zur zweitstärksten Kraft des Landes aufgestiegen ist, kann nur einen Pyrrhussieg begießen. Sein Plan, vier Jahre in der Opposition zu punkten, um dann nach der Regierung zu greifen, wird nicht aufgehen. Um glaubwürdig zu bleiben, wird Babis jetzt schon Verantwortung übernehmen müssen.
Ohne ihn, sieht man sich die Mandatsverteilung an, wird eine Regierungsbildung fast unmöglich sein. In all dem Chaos, das am Tag nach der Wahl in Tschechien herrscht, ist jedenfalls eins klar: die nächste Regierung wird schwach werden.
Der grösste Verlierer der Wahlen, und das ist durchaus als positiv zu deuten, ist Präsident Milos Zeman. Seine „Zemanisten“, eine linkspopulistische Partei, deren Programm nur aus der Adoration des Präsidenten bestand und die das halbe Land mit ihren Wahlplakaten mit dem Antlitz Zemans zugepflastert haben, bekamen gerade mal 1,5 Prozent. Eine eindeutige Ohrfeige für das selbstherrliche Staatsoberhaupt.
Die Wahlen bedeuten nicht nur eine Bewertung von Zemans erstem Jahr auf der Burg, sondern sind Ausdruck von Protest gegen die Korruption und Klüngelei der etablierten Politik.
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