Kommentar Wahlanfechtung der FPÖ: Bewegung der Beleidigten
Opferinszenierungen haben Europas Rechtspopulisten erfolgreich gemacht. Deshalb lohnt sich die Klage für die FPÖ in jedem Fall.
B einahe hätten Österreichs Rechtspopulisten ihren Einsatz verpennt. Mehr als zwei Wochen ist es schon her, dass der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer die Präsidentschaftswahl verloren hat. Und erst jetzt ficht die FPÖ das knappe Ergebnis beim Verfassungsgerichtshof an.
Dass sie so lange brauchte, ist verwunderlich, weil Opferinszenierungen Europas Rechtspopulisten so erfolgreich gemacht haben. Frauke Petry verlässt eingeschnappt ein Treffen mit Vertretern muslimischer Verbände. Der Niederländer Geert Wilders greint überall, wo er hinkommt, Regierung, Gerichte und Terroristen wollten ihn zum Schweigen bringen. Und Alexander Gauland ist verstört, weil ihm fiese Journalisten unterstellt haben, er habe gewusst, dass Jérôme Boateng was mit Fußball zu tun hat. Sie alle bilden die Bewegung der Beleidigten.
All diese Tragödien stoßen auf so große Resonanz, weil eine Menge Menschen sich ebenfalls als Opfer sehen: Der Globalisierung, des beschleunigten Kapitalismus, des Wandels. Viele haben wirklich Probleme von prekärer Arbeit bis zu steigenden Mieten. Anderen geht es glänzend, aber ihr Leben hat immer weniger zu tun mit dem da draußen vor dem Fenster. Sie sind auch beleidigt.
Deshalb lohnt sich die Klage für die FPÖ in jedem Fall. Entscheidet das Verfassungsgericht für sie, wird die Wahl wiederholt. Verlieren Hofer und sein Impresario Heinz-Christian Strache, dürfen sie eine neue Verschwörung beklagen und noch mal die große Heulnummer zur Aufführung bringen.
Europas Rechtspopulisten haben das Glück, dass ihre politische Konkurrenz völlig falsch reagiert: Sie ist ebenfalls beleidigt. In Deutschland zum Beispiel ist Sigmar Gabriel beleidigt, weil die sogenannten kleinen Leute die Erfolge der SPD nicht sehen. Horst Seehofer schmollt, weil Merkel nicht rechts genug ist. Die Grünen tun geschockt darüber, dass viele so schlimm wählen. Und die Linke ist beleidigt, weil die Rolle der Ausgegrenzten nicht mehr ihr gehört. Viele Medien laufen, konfrontiert mit dem Lügenpressevorwurf, den Beleidigten hinterher: Sei nicht traurig, du darfst ja auch mit ins Fernsehen.
All das ist kontraproduktiv. Wer eingeschnappt ist, will beachtet, bestätigt und bestürmt werden. Was hilft: ausheulen lassen. Und sich den wichtigen Themen zuwenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge