Kommentar Wahl in Tunesien: Die Arbeit beginnt
Mit der Wahl Essebsis zum tunesischen Präsidenten ist der Übergang zur Demokratie abgeschlossen. Doch der schwierige Teil der Arbeit kommt noch.
B éji Caïd Essebsi, dessen Partei Nidaa Tounes (Der Ruf Tunesiens) im Oktober bereits die Parlamentswahlen gewann, wird in den Präsidentenpalast in Karthago einziehen, so meldet die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Agency. Nach der Auszählung von 75 Prozent der Stimmen liege Essebsi bei über 54 Prozent. Ein deutlicher Trend, auch wenn Essebsis Kontrahent, der bisherige Übergangspräsident Moncef Marzouki, seine Niederlage noch nicht eingestehen will. Der Übergangsprozess von der Diktatur zur Demokratie ist damit abgeschlossen.
Essebsi und seiner erst zwei Jahre alten, säkularen Nidaa Tounes gelang es, die Islamisten von Ennahda auf die Oppositionsbank zu verweisen. Das war eines der erklärten Ziele. Doch der schwierige Teil der Arbeit kommt erst noch: Tunesien steckt seit dem Sturz der Diktatur vor knapp vier Jahren wirtschaftlich in der Krise. Die Sicherheitslage in einigen Landesteilen, besonders an der Grenze zu Algerien, ist angespannt. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit islamistischen Terroristen.
Essebsi und Nidaa Tounes werden von vielen mit Misstrauen beobachtet. In den Reihen der Partei befinden sich neben Liberalen, unabhängigen Demokraten und Gewerkschaftern auch ehemalige Mitglieder der Einheitspartei des gestürzten Diktators Ben Alis, der RCD. Auch Essebsi gehörte ihr an. Verlautbarungen, er werde die Aufgaben der Wahrheitskommission, die die Verbrechen der Diktatur untersucht, einschränken oder die Kommission ganz schließen, tragen – auch wenn seine Partei die dafür nötige Zwei-Drittel-Mehrheit gar nicht hat – nicht dazu bei, diejenigen zu beruhigen, die eine Restauration alter Strukturen befürchten.
Essebsi ist nach dem doppelten Wahlsieg der neue, starke Mann des Landes. Allmächtig ist er dennoch nicht. Denn seine Nidaa Tounes braucht im Parlament Koalitionspartner um zu regieren. Das ist Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt