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Kommentar Wahl EU-KommissionschefRückständiger Rebellionsversuch

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Wie früher per Kungelei oder doch gemäß des Wahlergebnisses? Die Art der Entscheidung über den neuen EU-Kommissionschef ist wichtig.

Nach den EU-Wahlen: Jean-Claude Juncker zeigt sein Gebiss Bild: dpa

D ie Machtprobe, die sich zwischen Europäischem Rat und Parlament andeutet, ist entscheidend für die Zukunft der EU. Vordergründig geht es darum, ob die nächste Kommission von Jean-Claude Juncker, Martin Schulz oder jemand anderem angeführt wird. Aber dahinter verbergen sich wichtigere Fragen: Können die Regierungschefs klandestin einen ihnen genehmen Präsidenten aushandeln, wie sie es bisher taten? Oder entscheidet das Parlament über den wichtigsten Posten in der EU?

Das, was der britische Premier Cameron und die Staatschefs von Ungarn und Schweden gerade versuchen, ist ein Schritt zurück in die Vergangenheit. Sie wollen den Konservativen Juncker an der Kommissionsspitze verhindern, obwohl er als gewählter Spitzenkandidat der konservativen EVP antrat und das beste Wahlergebnis bekam.

Cameron und Co. ignorieren das demokratische Votum der Bürger, sie beharren auf ihr vermeintliches Recht auf Kungelei. Doch dieser rückständige Rebellionsversuch hat wenig Aussicht auf Erfolg. Das EU-Parlament hat sich in dem Machtkampf klar positioniert, indem es versichert, nur einen der Spitzenkandidaten zu wählen.

Das EU-Parlament sitzt am längeren Hebel, da es das abschließende Beschlussrecht hat. Interessant ist nun, wie sich die deutsche Kanzlerin verhält. Stellte sich Merkel im Rat hinter Juncker, könnte sie sich als Vorkämpferin für mehr Demokratie inszenieren, obwohl gerade sie lange gegen das Prozedere kämpfte.

Und die EU? Sie könnte am Ende tatsächlich demokratischer werden. Setzt sich dieses Mal das Spitzenkandidatenprinzip durch, wäre das ein Präzedenzfall. Jede Europawahl bekäme künftig Gesichter, und die WählerInnen echte Entscheidungsbefugnis. Für die EU, die vielen Menschen als Bürokratiemoloch gilt, wäre das ein kaum zu überschätzender Fortschritt.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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10 Kommentare

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  • Ich habe selten so einen Quatsch gelesen, dass es undemokratisch sein soll, wenn nicht derjenige, den die stärkste Partei oder Fraktion stellt, der Regierungschef, der Kommissions- oder Ministerpräsident oder sonstwie der Obermacker wird.

     

    Dann muss zuerst mal dieser Antidemokrat Kretschmann in Baden-Württemberg zurücktreten. Die CDU hat da viel mehr Stimmen erhalten als die Grünen. In Niedersachsen müsste auch McAllister "demokratischerweise" noch Ministerpräsident sein und in Schleswig-Holstein dürfte es auch nicht Albig sein. Fast überall, wo Grüne (mit-)regieren in der BRD, ist also nix mit Demokratie. Der Wählerwille wird brutal missachtet dort.

     

    Fragen Sie mal irgendwen, wie der jetzige Kommissionschef mit Vornamen heißt. Das weiß auch kaum jemand, wenn man überhaupt weiß, wie der heißt.

    Der Posten ist so irrelevant, dass man ihn auch durch Abzählreime oder sowas vergeben könnte.

  • Dieser Kommentar unterscheidet mir zu wenig zwischen echter und gefühlter demokratischer Teilhabe.

     

    Mal ganz von der formalen Rechtslage abgesehen: Tatsache ist, dass die Regierungen, die hier angeblich undemokratisch herumkungeln, aufgrund der immer noch viel höheren Wahlbeteiligungen bei nationalen Wahlen eigentlich das stärkere demokratische Mandat haben, die Positionen der von ihnen repräsentierten Bevölkerungen zu vertreten als das EU-Parlament. In den meisten Fällen bewegen sie sich auch verfassungsrechtlich auf einem recht schmalen Grad, wenn sie überhaupt wichtige Kompetenzen an irgendwen anderes abgeben - auch ein gewähltes Parlament. Dass man ein solches Entscheidungsorgan wählen, kann bedeutet nämlich nicht, dass es willkürlich über seine Kompetenzen entscheiden darf.

     

    Man mag es für wünschenswert halten, das Mandat des EU-Parlaments "von oben" zu stärken in der Hoffnung, dass dann auch die Wahlbeteiligung bei Europawahlen steigt und dieses Mandat so vom Souverän mit etwas mehr Leben gefüllt wird. Aber diese strukturelle Änderung bedarf der Zustimmung der einzelnen, souveränen Staaten.

     

    Es reicht nicht, dass die Parlamentarier selbst entscheiden, dass sie dem Rat der Union faktisch das Vorschlagsrecht entziehen wollen. Es ist auch nicht so, als hätten die Wähler in den einzelnen Staaten bei dieser Wahl durch eine entsprechend deutliche Erhöhung der Wahlbeteiligung ihrer jeweiligen Regierung ein Signal der aktiven Billigung dieser Selbstermächtigung gesandt.

     

    Wenn also das Wort "Rebellion" in der Überschrift sich auf die Ratsmitgleider beziehen soll, verdreht das letztlich die Tatsachen. Die Rebellen sitzen im Parlament. Man mag sie in der Sache unterstützen wollen, aber sie implizit als die rechtmäßigen Herren des Vorschlagsrechts zu bezeichnen, ist keine seriöse Unterstützung sondern irreführende Propaganda.

  • Wie wäre es mit dem einzigwahren Wahlsieger: Martin Sonneborn?!

  • Juncker = EVP? Die konnte man doch gar nicht wählen. In Deutschland konnte man als Frontmann der Konservativen nur McAllister wählen.

     

    Und wer konnte im Ausland denn Herrn Schultz wählen? Es war doch ein reines Schmierenstück, den Wählern vorzugaukeln, sie hätten irgendeinen Einfluss auf die Besetzung des Kommissionspräsidentenstuhls.

     

    Selbstverständlich lassen sich die Regierungschefs dieses Recht nicht einfach aus der Hand nehmen.

     

    Wer etwas anderes erwartet hat, ist ein Träumer.

  • Ich hab weder Junker noch Schulz auf dem Wahlzettel gesehen.

  • "Jede Europawahl bekäme künftig Gesichter, und die WählerInnen echte Entscheidungsbefugnis."

     

    Gesichterwahl = echte Entscheidungsbefugnis???

     

    Merke:

    Wer bei Politikdarsteller-Personenwahlen seine Stimme abgibt, hat sie damit auch schon verloren, statt sie lautstark zu erheben.

     

    Volksentscheid in Deutschland und der EU jetzt!!!

    • @Kiribati:

      Volle Zustimmung!

  • Das Wahlergebnis zeigt, dass eine weitere Integration von wichtigen Teilen der EU nicht gewünscht wird. Da dies auch vor der Wahl absehbar war, wollte das EU-Management durch die Personalisierung der Wahl den Integrationsprozess durch eine vorgebliche Ausweitung der Rechte des Parlamentes beschleunigen und dadurch das Prinzip, dass die einzelnen Staaten Herren der Verträge sind, weiter einschränken. Auch wenn man die rechten Wahlgewinner wegen ihrer antidemokratischen Ziele und Aktionen nicht mag, sollte man sich dadurch nicht blind machen lassen und berücksichtigen, dass deren Ablehnung einer weiteren Integration der EU die demokratischen Rechte der und innerhalb der einzelnen Staaten stärkt.

    • @Gottfried Scherer:

      Als ich letztes Mal nachgeschaut habe, hatten im Europaparlament den Ergebnissen nach immernoch die pro-europäischen Parteien die Mehrheit.

       

      Sicher, die integrationsfeindlichen Kräfte haben hinzugewonnen. Aber sie sind immer noch die Minderheit.

      Daraus jetzt den Anspruch abzuleiten, man müsse die Politik nach Art dieser Minderheit umgestalten, ist ein Irrtum und hat auch mit Demokratie nichts zu tun.

       

      Im Übrigen ist die Ausweitung der Rechte des Parlaments nicht "vorgeblich". Die Politikbereiche, die Parlamentszustimmung erfordern, sind erheblich ausgedehnt worden. Ein Blick in den Lissabon-Vertrag im Vergleich zu den vorherigen Verträgen würde da Aufschluss bringen. Schonmal nachgelesen?

       

      Aber wenn die Ausweitung der Rechte nur "vorgeblich" war (sich also nichts geändert hat), warum wurde dadurch die Vertragsherrschaft der Staaten eingeschränkt? Wenn man schon unsachlich schimpft, dann bitte wenigstens konsequent.

      • @Soungoula:

        @SOUNGOULA

        1.+2, Satz - ich habe nichts anderes behauptet

        3.Satz habe ich nicht gefordert. Ich habe darauf hingewiesen, dass ein Stopp der Integration sinnvoll ist, weil damit eine weitere Entdemokratisierung verhindert wird. Dass dies auch die rechte Opposition fordert und ich dem zustimme, bedeutet nicht, dass ich alle anderen Forderungen dieser rechten Parteien unterstütze!

        Rest: Ich habe die Personalisierung der Wahl als vorgebliche Demokratisierung bezeichnet, weil eine Wahl des Kommissionspräsidenten durch das EU-Parlament an der undemokratischen Struktur wenig ändert, aber ein Mosaiksteinchen auf dem Weg zu einem europäischen Zentralstaat statt eines europäischen Välkerbundes wäre.

        Wenn Sie sich auf den Lissabonner Vertrag berufen, blenden Sie aus, dass dieser die ablehnenden Volksentscheide unwirksam machen wollte, indem paradoxerweise die Regierungen ihre eigene Entmachtung durch weitere Kompetenzübertragungen an die EU vorangetrieben haben. Ist es möglich, dass Ihnen ein Unterschied zwischen einer Vertragsherrschaft der Staaten und der Einschätzung, dass in der EU die nationalen Regierungen Herren der Verträge sind, unbekannt sein könnte?

        Im übrigen würde in einem europäischen Völkerstaat das Selbsbestimmungsrecht der Völker abgeschafft, während in einem europäischen Völkerbund deren Selbstbestimmungsrecht die Grundlage ihrer Geminsamkeiten wäre.