Kommentar Waffenlieferungen an Türkei: Wahlkampf mit Pausentaste
Sigmar Gabriels Erklärung, Waffenlieferungen an die Türkei seien „on hold“, ist reiner Wahlkampf. Die CDU hält mit „Sicherheitsinteressen“ dagegen.
E s ist schon erstaunlich, was im Wahlkampf so alles möglich ist. Der Bundesaußenminister (SPD) zum Beispiel gibt öffentlich bekannt, dass die Große Koalition fast alle Rüstungsexporte in die Türkei auf Eis gelegt habe. Bemerkenswert dabei ist vor allem seine Wortwahl. „Die großen Anträge, die die Türkei derzeit an uns stellt – und das sind wirklich nicht wenige –, haben wir alle on hold gestellt“, hat Sigmar Gabriel bei einer Veranstaltung des Handelsblatts erklärt. Klingt irgendwie mutig, ist aber höchstens halb forsch.
Denn „on hold“, das bedeutet ja nichts weiter, als dass Schwarz-Rot bei den Rüstungsexporten erst mal nur die Pausen- und nicht die Stopptaste gedrückt hat. Es handelt sich also um eine sprachliche Umschreibung für politisches Abwarten. Von konsequenter Verweigerung von Kriegsmaterial für einen autoritären Machthaber kann weiß Gott keine Rede sein. Auch die SPD möchte sich nicht den Zorn der deutschen Rüstungsindustrie einhandeln. Wer weiß, ob die Sozialdemokraten nicht doch wieder in der nächsten Regierung sitzen.
Dass diese Koalition definitiv an ihrem Ende angelangt ist und es den einst Verbündeten aktuell wirklich nur noch um Wählerstimmen geht, ist auch deutlich an der Reaktion der Union abzulesen. Deren außenpolitischer Sprecher widersprach dem Außenminister nämlich umgehend. Die Solidarität in der Nato gebiete, so Jürgen Hardt, Wünsche der Türkei nach Rüstungslieferungen grundsätzlich wohlwollend zu prüfen und umzusetzen. Alles andere würde die Nato schwächen und deutsche Sicherheitsinteressen gefährden.
Es ist dies das übliche Überwältigungs-Wording, das die Union immer dann in Anschlag bringt, wenn ihre Unterstützer aus Industrie und Arbeitgeberschaft verprellt werden könnten. „Deutsche Sicherheitsinteressen“ – wer mag die schon gefährden?
Von Koalitionsdisziplin ist nichts mehr zu spüren. Warum auch? Anderthalb Wochen vor der Bundestagswahl spielen die politischen Akteure einzig für das Publikum. Wichtig ist nur, Unterschiede sichtbar zu machen und die Wählerschaft zu einer Wir-oder-die-Entscheidung zu drängen. Dass dies bei einem solch ernsten Thema wie dem Umgang mit der Türkei versucht wird, lässt Arges für die Koalitionsverhandlungen befürchten – zwischen wem auch immer.
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