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Kommentar VerfassungsschutzberichtWo bleibt die Empathie?

Andreas Speit
Kommentar von Andreas Speit

Durch den Fokus auf islamistische Anschläge tritt rechtsextreme Gewalt in den Hintergrund. Die gesellschaftliche Empörung fehlt.

2014 gab es fast 24 Prozent mehr rechtsextreme bzw. rassistische Übergriffe und Anschläge als im Vorjahr. Foto: dpa

Die brutalen Anschläge der letzten Woche wollten erneut Angst und Furcht verbreiten“, sagte Innenminister de Maizière bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2014. Die Zahl der radikalislamischen Salafisten in Deutschland sei auf 7.000 Personen angewachsen. Kein Sicherheitsexperte mag weitere Anschlagsversuche in Deutschland für die Zukunft ausschließen.

Die bereits vorhandene alltägliche Bedrohung geht darüber unter: Die Übergriffe und Anschläge von rechtsextremen und/oder rassistischen Tätern. Im vergangenen Jahr stiegen diese um fast 24 Prozent – auf 990. „Hass und Gewalt gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern sind beschämend“, fand der Innenminister zwar, eine Standardfloskel zur deutschen Normalität – ohne politischen Nachhall.

Keiner der jüngsten Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte löste eine gesamtgesellschaftliche Empörung aus. Fehlt die Empathie, weil die Betroffenen nicht aus der weißen Mehrheitsgesellschaft kommen? Dann hätte sich trotz der Debatten um den NSU wenig geändert.

Immerhin soll die Zahl der Rechtsextremen rückläufig sein. Doch für einen Faustschlag gegen Nicht-deutsch-Aussehende oder einen Brandsatz in eine Flüchtlingsunterkunft genügt es, ein „Ja-aber“-Rassist oder ganz gewöhnlicher Deutscher zu sein. In Escheburg zündelte ein biederer Steuerbeamter.

Seit Jahren gehen Opferberatungen übrigens von weit höheren Zahlen aus. Erst am Wochenanfang zeigte eine Überprüfung von „Altfällen“ durch das Moses-Mendelssohn-Zentrum, dass in Brandenburg 18 Menschen durch rechtsextreme Gewalttaten starben, doppelt so viel wie bisher angenommen. Um wie viel Prozent sind die rechten Gewalttaten also wirklich gestiegen?

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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1 Kommentar

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  • Wer sich nicht auf einer Insel der Vernünftigen verschanzt angesichts des Grauens auf deutschen Straßen (18 Tote allein in Brandenburg), der kann erkennen, das die Empathie (die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen Person zu erkennen und zu verstehen) durchaus noch da ist. Sie wird nur rationiert bzw. reserviert. Und zwar für Leute, die (gefühlt) zur eigenen Gruppe gehören. Die "Logik" lautet: Wer ist wie ich, den mag ich, weil mir das ein Recht gibt zu erwarten, dass ich auch gemocht werde.

     

    Die rationierte, reservierte Empathie ist der Kitt, der die -gidas und auch die rechten Parteien und Gruppierungen zusammenhält . Wer anders aussieht, muss aus Sicht der Mehrheit anders sein. Er braucht also nichts abzukriegen von jener Empathie, die (gefühlt) in manchen Kreisen knapper ist als Geld. Man kann halt selber nie genug davon bekommen.

     

    Es hat sich wirklich wenig geändert "trotz der Debatten um den NSU". Kein Wunder. Es wurden und werden falsche Schlüsse gezogen aus den diversen "Diskussionen" (die oft wie Frontalunterricht in einer Förderschule wirken, nicht wie Gespräche auf Augenhöhe). Strukturen zu zerschlagen und die Personen, die sie offiziell getragen haben, auf eine schwarze Liste zu setzen, genügt nicht. Man muss auch Alternativen entwickeln. Zum Beispiel für jene "biedere[n] Steuerbeamte[n]", die so tief drinstecken in ihrer Frustration und gleichzeitig so abgerichtet wurden zum Gehorsam, dass sie mit Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte ihre Wut und ihre Hilflosigkeit kanalisieren müssen.

     

    Die aber haben nach Ansicht der "Vernünftigen" weder Mitgefühl noch Engagement verdient. Man macht sich nicht gemein mit solchen Leuten. Womöglich steckt ja Dummheit an. Auch auf der Insel der vermeintlich Linken wird Empathie rationiert und nach Gutdünken zugeteilt. Wir alle machen mit beim Böse-Geister-am-Leben-Erhalten.