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Kommentar VerfassungsschutzberichtExtremisten der Mitte

Andreas Speit
Kommentar von Andreas Speit

Nicht nur gewaltbereite Rechte vergiften die Gesellschaft. Auch Sarrazin, Pirinçci und etliche Politiker befeuern Ressentiments und bestärken Neonazis.

Dumme Mitte-Extremisten futtern Hirne: antifaschistischer Protest in Würzburg. Bild: dpa

D ie Ermittlungen zum NSU-Verfahren haben die Szene von NPD bis Autonome Nationalisten nicht eingeschüchtert. Der höhere Ermittlungsdruck durch die Sicherheitsstrukturen ebenso wenig. Am Mittwoch mussten Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen erklären, dass die rassistischen Übergriffen im Vergleich zum Vorjahr um 20,4 Prozent gestiegen sind.

2012 registrierten sie 393 Straftaten, im vergangenen Jahr 473. Der Anstieg darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Beratungsstellen von Opfern rechtsmotivierter Gewalt von einem großen „Dunkelfeld“ rassistischer und rechtsextremer Straftaten ausgehen.

Kein Fakt spricht für eine andere Entwicklung. Im Gegenteil: Die Debatten um die NSU-Ermittlungen haben nicht in allen Bereichen der Sicherheitsapparate zu einer größeren Sensibilität bei solchen An- und Übergriffen geführt.

Nur ein aktuelles Beispiel: Im Mai diesen Jahres verhandelte das Landgericht Magdeburg den Angriff auf den Imbissbetreiber Abdurrahman E., den neun Männer, begleitet mit Beleidigungen wie „Scheißtürke“, fast tot prügelten. Die Staatsanwaltschaft wollte keine rassistischen Motive erkennen, das Gericht ein politisches Motiv mit „erforderlicher Sicherheit“ nicht feststellen. Das Urteil fiel entsprechend milde aus. Die Hemmschwelle zur Gewalt dürfte es nicht erhöht haben.

Ganz besorgt mache de Maizière auch, dass die „rechte Szene“ versuche, „die Stimmung gegenüber Fremden zu vergiften, indem sie Ängste und Vorurteile gegen Asylsuchende schürt“. Eine Sorge, das legt die Wortwahl nahe, die den gesellschaftlichen Kontext von rassistischer Gewalt nicht beachtet.

Fatale Wirkung

Die Stimmung „gegenüber Fremden“ vergiften nicht alleine die „Extremisten von rechts“. Die Extremisten aus der Mitte giften verstärkt mit. Die Diskussionen um die Bestellerautoren Thilo Sarrazin und Akif Pirinçci wirken in der gesellschaftlichen Mitte. Die Debatte von Politikern verschiedenerer Parteien über die sogenannte Armutseinwanderung in die Sozialsysteme befeuert die Ressentiments. Diese komplexe Wechselwirkung muss nicht bloß im Wohlstandschauvinismus münden – dessen Wirkung schon fatal ist.

Eine Studie der Universität Leipzig zeigte gerade, dass „die Wut“ gegen Asylsuchende, Muslime, Roma und Sinti massiv gestiegen ist. Diese Diskurse können auch die Hemmschwelle der Gewalt durch „Extremisten der Rechten“ sinken lassen – sie fühlen sich durch die „Extremisten der Mitte“ bestärkt.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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8 Kommentare

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  • Herr Speit, schön dass ich Sie treffe.

    Das "Bekennervideo" das SPIEGEL-TV, einschl. Ihrer eindringlichen Kommentare, am 16.01.2012 veröffentlicht hat, ist nicht mehr auf der Website.

    Wissen Sie, wer es entfernt hat?

    Und kennen Sie auch den Grund?

  • Junge Junge - ECHT JETZT - Sie Glücklicher....! ich gratuliere und versteh sie auch, Ihre Haltung. Sie drückt Autonomie aus!

    Es ist aber leider so, daß man das nicht verallgemeinern kann, weil es viel zuviele Schutzbedürftige gibt, z.B. Menschen, die der Sprache noch nicht mächtig sind und der Unterstützung bedürfen, die nicht aus- noch ein wissen. Denken Sie doch bitte einmal darüber nach. Es gibt so viele Brandstifter unter uns, die wünschte ich zum Teufel. Oder auf den Mond. Und ich wollte vor allem, es wäre eine sehr viel freundlichere Stimmung in diesem Land.

  • Herr Speit, ich möchte ehrlich sein: Ich habe einen arabischen Namen, ich sehe aus wie ein Araber und ich wurde erst einmal in meinem Leben von Neonazis bedroht. (Notiz an die Antifa: Damals hat mir die Polizei den Arsch gerettet und nicht ihr mit eurem dämlichen Alerta-Geplärre) Ich kenne also die Gefahr des Rechtsextremismus und glaube sie inzwischen einschätzen zu können. Aber: Ich will Ihre Hilfe nicht! Ich brauche sie nicht, sie ist überdimensioniert und maßlos! Noch schlimmer: Sie missbrauchen mich als Opfer, was voraussetzt, dass Sie mich als Opfer darstellen. Und vor allem das will ich nicht! Mir wäre es lieber, Sie ließen meine Steuern unangetastet und wendeten sich wichtigen Dingen zu, statt es sich in der aufgeblasenen Betroffenheitsindustrie gemütlich zu machen.

     

    MfG

     

    ein Mensch

    • @Echt jetzt?:

      Das klingt doch alles eher nach sächsischer Dumpfbacke auf Geisterfahrt. Sie "möchten ehrlich sein" heißt, es gelingt Ihnen mal wieder nicht.

      • @Rainer B.:

        Arabischer Name, arabisches Aussehen, arabische Eltern, das kannst du mir ruhig glauben. Schade, dass auch "links" die Denkmuster scheinbar sehr festgefahren sind. Was nicht sein darf, darf nicht sein. Und dass da ein Araber so gutes (oder schlechtes; je nach Perspektive) Deutsch spricht, wie eine "sächsische Dumpfbacke" kann ja gar nicht sein, oder Rainer? Vielleicht bist du ja potenziell rassistisch und rechtsextrem?!

        • @Echt jetzt?:

          Sie sind hier falsch! Warum wenden SIe sich nicht persönlich an die Leute, von denen Sie so enttäuscht sind? Anstatt hier pauschal und anonym ein Klagelied gegen "die Antifa" anzustimmen, könnten Sie das mit den Leuten, die ggf. gemeint sind, viel besser klären. Wer seinen Beitrag mit "ich möchte ehrlich sein" beginnt, entlarvt sich nur selbst als unehrlich und wird auch von mir so behandelt.

          • @Rainer B.:

            Ich bin enttäuscht von dekadenten links-grünen Dampflauderern, die Migranten pauschal als Opfer stilisieren um sich ihr Einkommen zu sichern. Das ist mein Vorwurf. Unehrlich bin ich nicht. Dieses weinerliche Wir-schützen-die-armen-Migranten beleidigt mich und da bin ich bei weitem nicht der einzige. Kleiner Tipp: Geh mal auf die nächste Anti-Nazi-Demo und schau, wie viele der schützenswerten Migranten da rumhampeln. Viele sind es nicht. Türken jammern nicht, sondern setzen sich auf den Arsch; Araber studieren nicht Sozi-Irgendwas, sondern etwas handfestes. Schließlich hat Papa meist keine Asche und kann den Demo-Spaß nicht finanzieren. Setz dich in ne Maschinenbau-Vorlesung und dann vergleiche den Migrantenanteil mit dem in Soziologie. Da fragt sich, wer den "armen" Migranten hilft: Das dumme Rumgefasel von Soziologen oder die "böse" freie Wirtschaft, die beim richtigen Studienabschluss mit tollen Jobs winkt...

             

            In diesem Sinne,

             

            Alerta, alerta!!! (und so weiter)

            • @Echt jetzt?:

              Viel Glück in der "freien" Wirtschaft! Genügend Ignoranz und rechte Weltsicht bringen Sie ja mit. Damit haben Sie doch alles, was ein erfolgreicher Täter in Deutschland so braucht und müssen sich nicht länger "als Opfer stilisieren" lassen. Und ihr Einkommen ist auch gesichert.