Kommentar V-Leute im NSU-Umfeld: Quellenschutz verhindert Quellennutz
Der Verfassungsschutz will die Aussage eines V-Mannes im NSU-Prozess verhindern. Damit wird das V-Leute-System selbst ad absurdum geführt.
D as NSU-Trio war, vor allem in seiner Frühphase, umgeben von V-Leuten des Verfassungsschutzes und wurde trotzdem nie gefasst. Kein Wunder, dass es abenteuerliche Spekulationen gab und gibt. Vor allem in rechten Kreisen hält man die NSU-Morde für eine Auftragsarbeit des Verfassungsschutzes. Das soll offensichtlich die Nazi-Szene entlasten, ist aber sehr unwahrscheinlich.
Wenig Hinweise gibt es auch für die These, dass der Verfassungsschutz die Nazi-Urheber der Morde kannte und die Polizei trotzdem weiter ihre vorurteilsgeladenen Ermittlungen gegen türkische Mafia-Kreise fortführen ließ.
Der stichhaltigste Vorwurf gegen den Verfassungsschutz lautet: Er hat gewusst oder hätte wissen können, wo sich die drei Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe versteckten. Er wäre dann mitschuldig daran, dass die drei Untergetauchten nicht frühzeitig verhaftet wurden und stattdessen ihre Mordserie beginnen und fortsetzen konnten.
Ein zentraler V-Mann war Carsten Sz., alias Piatto, der demnächst im Münchner NSU-Prozess aussagen soll. An seiner Verpflichtung für staatliche Spitzeldienste gab es heftige Kritik, weil er bei einer Nazi-Attacke einen Mann fast getötet hatte. Heute wäre so eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich, heißt es, es gebe neue Richtlinien zur V-Mann-Anwerbung.
Das geht aber völlig am eigentlichen Problem vorbei. Zwar ist es moralisch sicher problematisch, wenn der Staat mit Typen wie Carsten Sz. kooperiert. Und es wäre sogar kriminell, wenn er bei Ermittlungen gedeckt wurde.
Führer und Vorgesetzte als Problem
Aber er war ein nützlicher V-Mann und lieferte wichtige Hinweise auf das NSU-Trio – die dann im Verfassungsschutz versandeten. Auch andere V-Leute im NSU-Umfeld haben durchaus brauchbare Tipps geliefert. Mit Blick auf das NSU-Desaster sind also nicht die V-Leute das Problem, sondern die V-Mann-Führer und vor allem ihre Vorgesetzten.
Der Schutz der eigenen Quellen scheint den Geheimdienstlern so wichtig gewesen zu sein, dass man die Informationen der Quellen lieber ungenutzt ließ. Damit hatte sich das V-Leute-System selbst ad absurdum geführt. Die Störmanöver des Verfassungsschutzes, der die Aussage von Carsten Sz. nun verhindern oder zumindest behindern will, machen umso neugieriger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen