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Kommentar Unisex-VersicherungenWenn aus Sonntagsreden Politik wird

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Die Unisex-Tarife der Versicherungen zeigen wie es aussieht, wenn aus Sonntagsreden Politik wird. Es gibt böse Presse, aber Deutschland wird gerechter.

A b heute, Freitag, 21. Dezember 2012 ist es Ernst: Die Versicherungswirtschaft hat klargestellt, dass mit dem heutigen Tag keine Versicherungen mehr verkauft werden, die nach Männern und Frauen differenzieren. Bei der Debatte um diese Tarife konnte man aufs Schönste beobachten, was Sonntagsreden sind – und was dagegen die Leute im Alltag wirklich interessiert.

Immer wieder sonntags sind alle selbstverständlich für die Gleichstellung von Mann und Frau. Alle wollen gleiche Löhne, mehr Frauen in Chefsesseln – und jegliche Diskriminierung beseitigt wissen. Doch auf der individuellen Alltagsebene ist es ganz anders: Da erklärten uns die Versicherungen, wie man noch schnell von den alten Tarifen profitieren kann, und die konservative Presse rügt, welch ein Unsinn die in Brüssel ausgebrütete „bürokratische Gleichmacherei“ sei.

Das passiert also, wenn den Sonntagsreden mal wirklich etwas folgt: Männer und Frauen sollen in Zukunft ihre Risiken solidarisch gemeinsam tragen, jede und jeder zahlt gleich viel. Wollten wir das nicht eigentlich alle? Die Richtlinie aus Brüssel zeigt, dass man mutige Politik braucht, um hehre Grundsätze dann im Alltag auch wirklich umzusetzen.

Bild: taz
HEIDE OESTREICH

ist Inlandsredakteurin mit einem besonderen Fokus auf Geschlechterpolitik.

Das ist in der Gleichstellungspolitik öfter so: Das Ehegattensplitting etwa ist gleichstellungspolitisch gefährlich, weil es Hausfrauenehen begünstigt und damit die eigenständige Existenzsicherung von Frauen verhindert. Aber konkret und für den Moment gedacht profitieren eben alle davon, die verheiratet sind. Deshalb wollen es linke Parteien zwar abschaffen – haben dies aber auch zu rot-grünen Zeiten nicht geschafft.

Wer weiß, vielleicht kommt aus Brüssel ja auch nochmal eine Steuerrichtlinie, die das Ehegattensplitting abschafft? Dann würde es wieder viel böse Presse geben. Aber am Ende wäre die Welt in Deutschland etwas gerechter geworden.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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6 Kommentare

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  • B
    Bitbändiger

    Man kann den Unisex-Tarif als "gelebte Solidarität zwischen den Geschlechtern" (so rum wie so rum, wohlgemerkt) natürlich gut finden, auch wenn er versicherungsmathematisch Stuss ist. Aber gut - in der gesetzlichen Pflicht-Kranken- und Pflegeversicherung z.B. zahlen seit eh und je Männer und Frauen das gleiche, ohne dass sich jemand aufgeregt hätte.

     

    Mein Verdacht, dass diese vom zeitgeistlichen "Gender-Mainstreaming" vorgeschobene EU-Richtlinie von der Versicherungslobby in die Feder des zuständigen Kommissars diktiert wurde, lässt sich allerdings nicht ausräumen. Denn soviel Vorwand für einen gewaltigen Zusatz-Reibach wurde den Versicherern schon lange nicht beschert.

     

    Wie Sie jetzt allerdings auf die Idee kommen, liebe Frau Oestreich, dieses Thema völlig zusammenhanglos mit dem Ehegattensplitting zu verquicken, erschließt sich nicht. Trotzdem will ich darauf eingehen und insbesondere Ihrer These,

     

    "...gefährlich, weil es Hausfrauenehen begünstigt und damit die eigenständige Existenzsicherung von Frauen verhindert",

     

    widersprechen: Im Gegenteil - es honoriert die Tätigkeit der "Nur-" oder "Teilzeit-Hausfrau" (oder des Hausmannes) als "richtige Arbeit". (Zugegeben: Trifft auf Millionärshaushalte mit x Hausangestellten nicht zu. Aber viel Geld bringt nun mal viele Vorteile, die der Staat nicht alle abhobeln kann.) Und wenn z.B. eine Arbeitnehmerin mit 17.000 € Einkommen und arbeitslosem Ehemann, wg. Ehegattensplittings bislang steuerfrei, ohne Ehegattensplitting künftig Steuern zahlen müsste, wäre es Ihnen doch sicher auch nicht recht??

  • C
    cyctologie

    das ist diskriminierung von männern.

    sie müssen genauso viel zahlen wie die frauen, obwohl sie weniger davon haben.

    man könnte auch sagen: männer müssen jetzt mehr bezahlen als frauen.

    mag sein, dass das sehr solidarisch von uns männern ist. gerecht ist es nicht.

  • M
    miri

    Kurze Info: Sexismus und Geschlechter-Diskriminierung bedeutet *ungerechtfertigte* Unterscheidung nach dem Geschlecht, also Benachteiligung eines Geschlechtes *ohne sachlichen Grund*. In der Versicherungsmathematik hat die Unterscheidung (= "Diskriminierung") nach dem Geschlecht aber sehr wohl einen sachlichen Grund! Frauen leben wirklich länger, und Männer bauen wirklich mehr Unfälle. Davor sollen wir jetzt die Augen verschließen? Ist doch Murks.

     

    Übrigens ist auch Altersdiskriminierung verpönt. Eine Lebensversicherung oder eine Sterbeversicherung für ein Baby abzuschließen ist aber viel billiger als wenn man schon 90 ist. Das muss sofort aufhören! Schluss mit der Altersdiskriminierung!!

  • IS
    Ideologie statt Risikoabdeckung

    Versicherungen wurden nach Risiko eingeteilt. Jetzt verteilt man dieses Risiko und der mit weniger Risiko bezahlt mehr. Es ist so als ob es nur noch eine Versicherungsgruppe für Autos gäbe. Die 60PS Familienkutsche kostet dann mehr, der 500PS-Tuning-BMW kostet das gleiche also weniger, obwohl er sich dreimal häufiger um den Baum wickelt. Man würde das dann "Autogerechtigkeit" nennen, denn beides sind Autos.

  • H
    Horsti

    "Gerecht" bedeutet also teurer - verstehe...

  • H
    hausfrau

    Auch Frau Oestreich benötigt etwas Nachhilfe in Sachen Ehehattensplitting.

    Ich bin eine solche Nur-Hausfrau und Mutter, die sich heute für ihren Lebensentwurf entschuldigen muss.

    Wir arbeiten 100%:0%, meine Schwester regelt es mit 50%:50%.

    Das Familieneinkommen ist ähnlich, und steuerlich stehen wir gleich. Frau Oestreich möchte hier, dass mein Lebensmodell diskriminiert wird. Ehegattensplitting bedeutet einfach nur Gleichbehandlung von beiden Familienmodellen.

    Und Nein, ich leide nicht unter unserem Modell. Mein Bild von Ehe und Familie beinhaltet eine gemeinsame Absprache und gemeinsame Fürsorge. Wenn jeder Ehepartner nur an sein eigenes Auskommen und seine eigene Altersvorsorge denkt, leben wir in einer kalten, individualistischen Gesellschaft - vermutlich der heimliche Traum von Neoliberalen wie Frau Oestreich.