Kommentar USA und der Kaukasuskrieg: Alle sind Georgier
Jetzt hechelt Obama McCain hinterher, in der Verurteilung der russischen Attacke auf Georgien. Für seine Gegner der ultimative Beweis seiner außenpolitischen Grünschnabeligkeit.
Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.
Es gibt deutsche Außenpolitiker, die ernsthaft befürchten, dass die US-Regierung noch vor den Präsidentschaftswahlen eine militärische Eskalation des Konflikts mit dem Iran herbeiführen will, um die Chancen des republikanischen Bewerbers John McCain zu verbessern. Zynisch gesprochen: Die Mühe kann sie sich jetzt sparen. Die Kaukasus-Krise hat denselben Zweck erreicht.
Inhaltlich unterscheiden sich die Positionen von John McCain und seinem demokratischen Konkurrenten Barack Obama kaum voneinander. Beide haben die russische Offensive in Georgien verurteilt, keiner von beiden hat bislang ein militärisches Eingreifen der Nato gefordert. Angesichts des verbalen Säbelrasselns im Wahlkampf muss man das schon fast für eine gute Nachricht halten.
Aber der Ton macht die Musik, und John McCain hat in den letzten Tagen gezeigt, dass auch er in die Harfe greifen kann: "Wir sind heute alle Georgier", rief er seinen Anhängern bei einem öffentlichen Auftritt zu - eine Anspielung auf die berühmte Solidarisierung von John F. Kennedy mit den Berlinern. Als dessen Erbe hatte sich bislang eigentlich Barack Obama gerne gesehen. Der ließ die Provokation unbeantwortet. Was hätte er denn auch sagen sollen?
Barack Obama hat sich in den letzten Tagen von McCain das Heft aus der Hand nehmen und vor sich hertreiben lassen. Eine überzeugende Vorstellung war das nicht. In einer ersten Stellungnahme hatte der Demokrat noch beide Seiten kritisiert und auch Georgien zum Gewaltverzicht aufgefordert. Kaum hatten jedoch das Weiße Haus und John McCain eindeutig Partei in dem Konflikt ergriffen, da zog Obama nach. Zwischen ihn und die politische Konkurrenz passt nun kein Blatt mehr.
Wer seine Fahne so schnell nach dem Wind richtet, wirkt nicht souverän, sondern unsicher. Barack Obama spielt mit einem solchen Verhalten genau jenen seiner Gegner in die Hand, die ihm fehlende außenpolitische Erfahrung vorwerfen und behaupten, in Zeiten der Krise bräuchten die Vereinigten Staaten einen militärischen Oberbefehlshaber vom Schlage John McCains. Der Vorsprung von Obama ist in den jüngsten Umfragen weiter geschrumpft.
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