Kommentar US-Finanzkrise: Notenbank rotiert, Politik blockiert
Die Kassandrarufe mehren sich, die eine finanzielle Kernschmelze globalen Ausmaßes nicht mehr ausschließen wollen. Doch die Bush-Regierung schaut weiter untätig zu.
Die globalen Finanzmärkte stehen nach dem gerade noch so verhinderten Kollaps der US-Investmentbank Bear Stearns am Rande einer Panik. Die US-Notenbank Fed tut, was sie kann, um sich dagegenzustemmen. Sie senkt die Zinsen in immer größeren Schritten, sie pumpt hunderte Milliarden Dollar in den Markt, und sie zahlt, wenn eine Bank vor der Pleite gerettet werden muss. Aber die Maßnahmen verpuffen, die Finanzkrise zieht immer weitere Kreise, die Aktienkurse stürzen ab, und die US-Wirtschaft ist mittlerweile zweifellos in einer Rezession angelangt. Daher mehren sich die Kassandrarufe, die eine finanzielle Kernschmelze globalen Ausmaßes nicht mehr ausschließen wollen.
Auch die bisherige Reaktion der Regierung in Washington auf die Ereignisse an der gar nicht so fernen New Yorker Wall Street ist besorgniserregend. Anscheinend gänzlich unbeeindruckt von den dramatischen Entwicklungen seit Freitag salbaderten Präsident George W. Bush und sein Finanzminister Henry Paulson von Höhen und Tiefen, von guten und schlechten Zeiten, durch die eine Volkswirtschaft nun mal gehe. Staatliche Eingriffe seien in dieser Situation - wie nach konservativer Überzeugung eigentlich immer - ganz verkehrt. Die US-Wirtschaft würde in jedem Fall nach wie vor den Neid der Welt wecken, gab sich Bush überzeugt - eine Einschätzung, die selbst in den konservativsten Finanzkreisen der USA nur noch Staunen hervorrief.
Ostentativer Optimismus ist jedoch kein Ersatz für Politik. Die Feuerwehraktionen der Fed stellen keine Lösung des Problems dar, das im überhitzten und deregulierten Immobilienmarkt seinen Ausgang nahm. Hier könnte die Regierung leicht etwas tun, indem sie Hausbesitzern unter die Arme greift und weitere Zwangsversteigerungen - und damit letztlich auch einen weiteren Wertverfall der kriselnden Hypothekenpapiere - verhindert. Langfristig Vertrauen in den Markt bringen könnte sie aber nur, wenn sie ihre sture Antiregulierungspolitik aufgibt. Die Doktrin, der Staat müsse sich aus der Wirtschaft heraushalten, ist schließlich angesichts der Bear-Stearns-Rettung auf Kosten der Steuerzahler schon jetzt Makulatur.
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