Der Untergang von Bear-Stearns: Intervention in der Nacht

Die Hypothekenkrise in den USA greift auf die Banken über. Was sind die Finanzinstitute noch wert?

Im protzigen Headquarter von Bear Stearns in New York tun sich unternehmerische Abgründe auf. Bild: dpa

Bis vor wenigen Tagen kannte kaum jemand den Namen Bear Stearns. Nun ist sie die erste bedeutende Bank, die im Strudel des US-Hypothekenmarkts untergeht. In einem Notverkauf wurden die Kunden der Bank gerettet - sogar die Notenbank Federal Reserve griff direkt ein. Sie muss bei dem Geschäft für den Käufer JPMorgan Chase Risiken in Höhe von 30 Milliarden Dollar absichern. Obwohl Morgan nur 236 Millionen Dollar für die fünftgrößte Investmentbank Bear Stearns auszugeben bereit war. Bear-Stearns hat 14.000 Beschäftigte. Im Juni 2007 trat die Krise dort offen zu Tage, als zwei von der Bank gemanagte milliardenschwere Hedge Fonds zusammenbrachen. Auch diese hatten ihre Anlagen mit zweitklassigen Immobilienkrediten abgesichert.

Es ist ein weiteres Zeichen. Aus der US-Hypothekenkrise könnte eine kaum noch beherrschbare Krise des Finanzsystems erwachsen. Die traditionsreiche US-Investmentbank Bear Stearns konnte Sonntagnacht nur durch einen Notverkauf vor dem totalen Zusammenbruch gerettet werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass US-Zentralbanken nun auch für einzelne Institute einspringen. Zu nachtschlafener Zeit beschloss die Fed zudem eine Zinssenkung - ohne ihre wenig später beginnende reguläre Sitzung abzuwarten. Überdies wurde am Sonntag auch noch die Schließung des Investmentfonds Carlyle Capital bekannt gegeben. Carlyle hatte die enorme Summe von 22 Milliarden Dollar in US-Hypotheken investiert.

Übers Wochenende ging alles ganz schnell. Am Freitag hatte die fünftgrößte Investmentbank der USA die Öffentlichkeit mit der Mitteilung geschockt, sie könne ihre Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen und stehe kurz vor dem Kollaps. Die Landeszentralbank von New York sah sich daraufhin zu etwas gezwungen, was zuletzt in den 1930er-Jahren vorkam: Sie griff Bear Stearns - gemeinsam mit der Großbank JPMorgan Chase - mit Cash unter die Arme. Normalerweise stellt die Notenbank dem ganzen Bankensektor Liquidität zur Verfügung, nicht aber gezielt einer einzelnen Bank. Doch Bear Stearns konnte offenbar nicht auf das ohnehin für kommende Woche geplante 200 Milliarden Dollar schwere Fed-Programm zur Unterstützung des Finanzmarkts warten.

Bear Stearns hatte sich dramatisch mit US-amerikanischen Ramschhypotheken verspekuliert. Schon gleich zu Beginn der Hypothekenkrise im vergangenen Sommer machte die Bank von sich reden, als zwei ihrer Hedgefonds deswegen Pleite gingen. Als am Freitag Vorstandschef Alan Schwartz die Karten auf den Tisch legen musste, stürzte die Bear-Stearns-Aktie um fast die Hälfte auf nur noch 30 Dollar. Schwartz begründete die plötzliche Wendung damit, dass die Bank angesichts der kursierenden Spekulationen über eine finanzielle Schieflage keine Kredite mehr bekam.

Am Wochenende wurde dann unter Aufsicht der Fed und des Washingtoner Finanzministeriums hektisch nach einem Käufer für Bear Stearns gesucht - man wollte und musste Panik auf den Finanzmärkten verhindern. JPMorgan Chase, die vergleichsweise wenig in das Hypothekendebakel verstrickt ist, war der Kandidat der Wahl. Die Fed half nach, indem sie eine Risikoübernahme von bis zu 30 Milliarden Dollar zusicherte. Die Hoffnung, die Vorstand und Anteilseigner von Bear Stearns gehegt haben dürften, für jede Aktie wenigstens noch die 30 Dollar vom Freitag zu bekommen, war trügerisch. Gerade mal zwei Dollar pro Aktie war JPMorgan jetzt noch bereit zu zahlen, macht zusammen 236,2 Millionen Dollar. Anfang 2007, vor dem Ausbruch der Hypothekenkrise, notierte die Bear-Stearns-Aktie noch bei rund 170 Dollar. Der Druck seitens der Politik, das Morgan-Angebot trotzdem anzunehmen, muss also enorm gewesen sein.

Wie schlimm die Krise wirklich ist, ob neben Bear Stearns auch andere Banken ins Wackeln geraten oder ob es gar zu einer großen Bankenpleite mit anschließendem Dominoeffekt kommt - darüber darf nun spekuliert werden. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte einen New Yorker Investmentbanker mit den Worten: "Die zentrale Frage ist jetzt, was wohl die anderen Banken in der jetzigen Situation überhaupt noch wert sind, angesichts des enormen Preisabschlags, den JPMorgan jetzt für Bear Stearns eingeräumt bekam." Der Starökonom Nouriel Roubini von der New York University prognostiziert in seinem Blog, dass ein oder zwei wichtige Wertpapierinvestoren wie Hedgefonds oder Investmentbanken Bankrott machen werden. Beruhigend fügt er hinzu, dass Bear Stearns kein allzu bedeutsamer Player sei: "Die Welt und die Finanzmärkte werden es überleben, wenn Bear von der Bildfläche verschwindet."

Ein wenig Aufklärung erhofft sich die Finanzwelt von den anderen Banken, die in dieser Woche ihre Quartalsbilanzen vorlegen: heute Goldman Sachs und Lehman Brothers und morgen Morgan Stanley. Bislang ist außer Bear Stearns noch keine Bank in eine richtige Krise gerutscht, doch einige hatten durchaus schon Probleme. So hatte Citigroup, die größte US-Bank, im Januar Verluste von 9,8 Milliarden Dollar gemeldet und dringend benötigtes Kapital von Staatsfonds aus Singapur und Kuwait annehmen müssen. Auch über Lehman Brothers zirkulieren derzeit ungute Gerüchte: Die Investmentbank habe ähnlich viele faule Hypothekenpapiere in ihren Büchern wie Bear Stearns.

Präsident George W. Bush hat für Dienstag seinen Finanzminister Henry Paulson, selbst ein ehemaliger Investmentbanker, den Notenbankpräsidenten Ben Bernanke sowie die Chefs diverser Börsenaufsichtsbehörden zur Krisensitzung geladen. Zudem tagt zudem der Offenmarktausschuss der Fed. Beobachter rechnen damit, dass sie ihren Leitzins gleich um einen ganzen Prozentpunkt auf nur mehr zwei Prozent senken wird. Dadurch kommen die Banken günstiger an Geld - das sie nun dringend benötigen.

"Die Fed hat noch Handlungsspielraum", sagte der Wirtschaftsweise Peter Bofinger der taz. "Bei den Zinsen ist die Grenze erst bei null, und das ist schon mal eine gute Nachricht." Zwar wird eine weitere Zinssenkung den US-Dollar noch unattraktiver werden lassen - so zeichnete sich ein weiterer Verfall des Dollarkurses in Richtung 1,58 Euro ab. Für die US-Wirtschaft ist das eher positiv, weil dadurch ihre Exporte wettbewerbsfähiger werden. Aber auf längere Sicht müsste die US-Regierung nach Bofingers Einschätzung "viel stärker den Immobilienbesitzern unter die Arme greifen". Je mehr die Immobilienpreise verfallen, desto stärker werden auch die mit Hypotheken besicherten Wertpapiere in Mitleidenschaft gezogen, die der Ausgangspunkt der Krise sind. Zudem müsse der Staat für mehr Transparenz und besseren Verbraucherschutz auf den Finanzmärkten sorgen. "Das ist wie bei einem Schlaganfallpatienten. Natürlich muss die Regierung jetzt erst einmal den Kreislauf stabilisieren, aber das hilft auf Dauer nicht, wenn der Patient nicht auch seinen ungesunden Lebenswandel ändert."

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