Kommentar Tunesien: Ägyptische Verhältnisse
Der Oppositionsführer erschossen und die Unzufriedenheit mit der teil-islamistischen Regierung in Tunis wächst. Eine brenzlige Situation.
D ie Übergangsregierung von zwei säkularen Parteien und der islamistischen Mehrheitspartei Ennadha in Tunesien steht vor dem Aus. Die Ermordung des Oppositionspolitikers Mohamed Brahmi, Mitglied der linken Fort Populaire, hat die Konfrontation von säkularen und islamistischen Kräften explosiv zugespitzt. Alle säkularen Oppositionsparteien wie Front Populair, Nida Tounes, die Republikaner, aber auch die einflussreiche Gewerkschaft UGTT fordern die sofortige Ablösung der Regierung und der Verfassunggebenden Versammlung. Die Gewerkschaft rief zum Generalstreik auf.
Der Mord an Mohamed Brahmi ist nach der Ermordung des beliebten Oppositionspolitikers Chokri Belaid vor sechs Monaten, auch er Mitglied des linken Koalitionsbündnisses, eine Zuspitzung der Gewalt. Ein Terrorakt, der die schwierige Übergangssituation in Tunesien weiter bedroht und nur weiter Chaos, Destruktivität und Gewalt produziert. Zu wessen Nutzen?
Jedenfalls nicht zum Nutzen der islamistischen Partei Ennahda. Wenn man bis jetzt auch nicht weiß, wer die Mörder waren, so gilt die Wahl des Opfers für die meisten Tunesier als Hinweis auf Salafisten, die überall im Land im Verbund mit frei gesetzten reaktionären Kräften des Ben Ali-Regimes Unruhe stiften. Brahmi war selbst ein erbitterter Gegner der Islamisten.
Nach der Absetzung der Regierung Mursi in Ägypten mutet so eine Provokation blindwütig und geradezu selbstmörderisch dumm an, falls es irgendeiner islamischen Sache dienen sollte.
Die Ereignisse in Ägypten wurden in Tunesien mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Für die heute im ganzen Land demonstrierenden TunesierInnen ist jedenfalls klar: Eine Regierung, die die Sicherheit der Oppositionellen nicht garantiert, die im Gegenteil im Verdacht steht, salafistischen, rechten Terror für sich zu nutzen, hat auf breiter Linie versagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt