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Kommentar Türkische Wahl in DeutschlandErdogan fährt seinen Lohn ein

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Vielen Deutschtürken werden bei der Präsidentenwahl für Erdogan stimmen. Das liegt auch an der Doppelmoral der deutschen Politik.

Türkische Fahne am Olympiastadion in Berlin, dem türkischen Wahllokal in der Hauptstadt Bild: dpa

blicherweise reicht es aus, wenn in Deutschland lebende Ausländer in den Botschaften oder Konsulaten ihrer Herkunftsländer ihre Stimme abgeben. Das Berliner Olympiastadion oder ganze Messehallen zu gigantischen Wahllokalen umzuwidmen, war nötig geworden, weil in Deutschland rund 1,4 Millionen türkische Staatsbürger leben, die zum ersten Mal an einer Wahl in ihrer Heimat teilnehmen dürfen. Erstmals müssen sie nicht mehr, wie bisher üblich, in die Türkei reisen, um ihre Stimme dort an einem Flughafen oder einer anderen Grenzstation abzugeben.

Dass der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Landsleuten in Deutschland diesen lange gehegten Wunsch erfüllt hat, ist einer der Gründe, warum ihn auch hierzulande viele von ihnen jetzt zum ersten direkt gewählten Staatspräsidenten der Türkei wählen dürften.

Ein anderer Grund ist, dass viele in ihm den Vater des türkischen Wirtschaftswunders sehen, der der Türkei bis dahin unbekannte soziale Segnungen gebracht hat. Über sein autoritäres Auftreten, seinen aggressiven Populismus und seine Allmachtsallüren sehen sie da gnädig hinweg, wenn sie ihnen nicht sogar zustimmen.

Auch die Doppelmoral der deutschen Politik spielt Erdogan in die Hände. Nicht nur, dass die Wahlkampfauftritte seiner Gegenkandidaten in Deutschland kommentarlos blieben, während sein Auftritt in Köln auf offene Feindseligkeit traf. Schwerer wiegt, dass sich deutsche Politiker von Claudia Roth bis Joachim Gauck, die sich noch vor Kurzem mit Kritik an Erdogan überboten, nun etwa zu den israelischen Kriegsverbrechen in Gaza schweigen.

Das macht es Erdogan leicht, seinen deutschen Kritikern zu unterstellen, sie hätten in Wirklichkeit etwas gegen Türken – zumal Erdogan den langjährigen Kurdenkonflikt zu Hause entschärft, wenn nicht sogar befriedet hat. Noch ein Grund, warum er diese Wahl wohl gewinnen wird.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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10 Kommentare

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  • Die Stimmen hat er sich jedenfalls demokratisch-redlich verdient.

    Was die Rechten angeht, die sich auf den Spuren Erdogans immerwieder hierhin verirren: Wenn uns unsere Sympathiepunkte bei euch Spinnern interessieren würde, hätten wir es euch schon längst wissen lassen.

  • Die ständig sinkenden Sympatie- und Akzeptanzwerte für Türken, Deutschtürken und ihr gesamtes Umfeld fallen ja nicht vom Himmel.

    Vielen Multikulti-Fanboys ging wenigstens während der Gezi-Proteste auf, welche Türken sie hierzulande unterstützen. Man merkt es sogar, wenn man die Kommentar auf taz.de liest ;)

    TiPP: Sehr aufschlussreich sind auch die Analysen und Reports von Haznain Kazim auf SPON.

     

    Kommentar bearbeitet. Bitte vermeiden Sie Hetze.

    • D
      D.J.
      @Süddeutscher:

      Ich möchte in dem Zusammenhang von zwei aktuellen Erlebnissen berichten: Mein türkisch-deutscher Freund, durch und durch säkular, man könnte fast von assimiliert sprechen, bekam von seiner Freundin gesagt, deren Mutter würde nie einen Türken als ihren Freund akzeptieren.

      Wer nun aber vom typisch deutschen Rassimus schwadronieren möchte: Mein Arbeitskollege bekam von seiner türkisch-deutschen Freundin gesagt, er könne ihn nicht seinen Eltern vorstellen, weil sie einen Deutschen nie akzeptieren würden. Er trennte sich daraufhin von ihr.

      Nein, @Süddeutscher, die Dinge sind kompliziert auf beiden "Seiten".

      Und: Nationalismus und Religion sind Geißeln der Menschheit.

      • D
        D.J.
        @D.J.:

        Korrektur:

         

        "sie könne ihn nicht ihren Eltern vorstellen"

  • Der offene Antisemitismus von Erdogan ist in Deutschland einfach nicht goutierbar.

  • Israel will nicht in die EU beitreten.

  • Türken wählen Erdogan, weil die deutschen Politiker zu wenig Israel kritisieren??? Was ist das denn für ein arg gewagter Gedankensprung, der nebenbei alle Türken zu kleinen Trotzkinder erklärt, die ihre Wahlentscheidung nicht nach rationalen Gesichtspunkten machen können. Herr Bax, Türken brauchen Ihren Paternalismus nicht!

    • D
      D.J.
      @vulkansturm:

      "Herr Bax, Türken brauchen Ihren Paternalismus nicht!"

       

      Herr Bax braucht ihn aber, scheint's. Und viele, die - welch grandioses Missverständniss - Paternalismus auch noch für links halten.

  • D
    D.J.

    Doppelmoral - etwas was türkischer Nationalchauvinismus hervorragend beherrscht. Z.B. wenn es um vollständige ethnische Säuberung und massive Siedlungspolitik in Nordzypern geht. Oder um die zumindest mittelbare Beteiligung an Kriegsverbrechen in Syrien und Israel/Gaza durch Unterstützung entsprechender Gruppen. Oder um Zustimmung zu Abspaltungstendenzen islamischer Teilstaaten oder Minderheiten andernorts, während Separationsbestrebungen im eigenen Land nach wie vor blutig unterdrückt werden.

    Herr Bax, gern können wir auch über deutsche Doppelmoral sprechen, gern auch über zuweilen ins Unsachliche gehende Erdogan-Kritik (z.B. nicht sehen wollend, dass die Opposition teils weit nationalistischer ist). Aber Ihre Einseitigkeit, die Sie seit Jahr und Tag üben, ist bedauerlich.

  • Ein Volk wählt seinen Diktator. Freiwillig. Da muss sein Vize den Frauen das Lachen nicht extra verbieten. Das ergibt sich dann von selbst. Mustafa Kemal, auch Atatürk genannt wird sich im Grabe herum drehen.