Kommentar Türkische Parlamentswahl: Erdogans Traum von der Macht
Erdogan hätte die Macht, einen Kompromissfrieden in der Türkei durchzusetzen. Es wäre ein historischer Verdienst. Doch er will nur mehr Macht und ein Präsidialsystem.
Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut." Diese Erkenntnis des britischen Historikers Baron Acton aus dem 19. Jahrhundert wird derzeit in der Türkei wieder einmal aufs Neue bestätigt.
Kein türkischer Ministerpräsident seit der Einführung der parlamentarischen Demokratie 1949 war so mächtig wie Recep Tayyip Erdogan derzeit. Erdogan beherrscht seine Partei, er hat im Parlament eine absolute Mehrheit, seine Gefolgsleute kontrollieren nahezu jede Schaltstelle der Macht, und das einstmals mächtige türkische Militär ist von Erdogan erfolgreich domestiziert worden.
Erdogan schickt sich nun an, mit einem wahrscheinlich erneuten hohen Wahlsieg Anfang Juni seine dritte Amtsperiode als Ministerpräsident anzutreten. Wenn die Legende vom "guten König" jemals etwas mit der Realität zu tun hatte, könnte er nach der Wahl beginnen, die drängendsten Probleme des Landes zu lösen.
Ernsthaften Widerstand hat er nicht mehr zu erwarten, niemand könnte ihn daran hindern, endlich eine tragfähige Lösung für den seit 30 Jahre alten Konflikt mit der kurdischen Minderheit zu suchen. Mehr als 40.000 Tote hat der Bürgerkrieg bereits gekostet, Verschleppungen, illegale Hinrichtungen, Folter und Zensur haben eine demokratische Entwicklung des Landes jahrelang verhindert.
Erdogan hätte die Macht, einen Kompromissfrieden in der Gesellschaft durchzusetzen. Es wäre ein historischer Verdienst, darin sind sich alle einig. Doch Erdogan will etwas anderes: Er will noch mehr Macht. Die Türkei soll in ein Präsidialsystem umgewandelt werden, selbstverständlich mit ihm als Präsidenten.
Für die Verfassungsänderung braucht er die Stimmen der Ultranationalisten, und deshalb lässt er nun auf die Kurden einschlagen. Die vermutlich letzte Chance, eine erneute Eskalation des Krieges zu verhindern, wird so Erdogans Machtträumen geopfert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart