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Kommentar Türkisch-deutsches VerhältnisAugen zu und durch war gestern

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Das Bundesinnenministerium hält die Türkei für eine Aktionsplattform der Islamisten. Daraus müssen Konsequenzen folgen.

Ach, unbeschwerte Zeit, als man sich noch unter Friedensengeln wähnte Foto: dpa

S icherlich, dass die Türkei dschihadistische Terrorgruppen unterstützt, ist keine neue Erkenntnis. Dass macht jedoch die Einschätzung des Bundesinnenministeriums, das Land am Bosporus habe sich „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt“, nicht weniger brisant.

Dass die Hamas schon vor einiger Zeit ihr Hauptquartier von Damaskus nach Istanbul verlegt hat, ist ebenso wenig ein Geheimnis wie die große Nähe der AKP-Regierung zur Muslimbruderschaft oder Ankaras Unterstützung islamistischer Milizen in Libyen. Und jeder, der es wissen wollte, wusste auch von der logistischen Unterstützung in Syrien kämpfender islamistischer „Rebellen“.

Immerhin wurden die Cumhuriyet-Redakteure Can Dündar und Erdem Gül wegen ihrer entsprechenden Berichte über illegale Waffenlieferungen zu mehrjährigen Haftstrafen wegen „Geheimnisverrats“ verurteilt. Nur die Bundesregierung wollte davon offiziell nichts mitbekommen haben, um den Nato-Partner nicht zu verprellen. Denn nichts soll den schmutzigen Flüchtlingspakt mit der Türkei gefährden.

Mit einer „wertebasierten Außenpolitik“, wie sie von der schwarz-roten Koalition so gern propagiert wird, hat der bisherige Umgang mit dem autokratischen Regime Erdoğans nicht zu tun. Da verwundert es nicht, dass die allzu ehrliche Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion eigentlich „aus Gründen des Staatswohls“ nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Denn daraus müssten sich Konsequenzen ergeben: vom Abzug der Bundeswehr aus der Türkei bis zur Androhung von Wirtschaftssanktionen.

Jetzt kann die Bundesregierung nicht mehr behaupten, es nicht besser zu wissen. Dann aber darf sie auch nicht länger dem Treiben des türkischen Staatspräsidenten tatenlos zuschauen, der im Inneren immer weiter Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aushöhlt und im Äußeren dschihadistischen Terrorismus fördert.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Tuerkei hat mitgemacht im Spiel des Klubs des Boesen(USA/Nato/EU) und fuer die Nato hat man Terroristen gegen Assad organisiert,ausgebildet und nach Syrien geschickt.Als Dank wurde die Tuerkei von NatoPatriotRaketen beschuetzt.Man hat gesehen wie einfach internationale Gesetze umgangen werden+wie einfach ein Land ins Chaos gestuertzt+ein Volk vernichtet wird.Das hat Tuerkei versucht auszunutzen f eigene Zwecke,Landgewinn (NordSyrien)+Oelquellen(NordostSyrien).Jetzt=etwas falsch gelaufen,Assad wollte nicht davonlaufen+er bekommt sogar m Russlands Hilfe die Ueberhand.Logisch das i/d Westpresse Assad der schlimmste Diktator+Russland die schlimmste Macht=die in OstEuropa provoziert werden muss.Fuer Tuerkei sind Machttraeume zuEnde+man will sich nicht damit abfinden,also man provoziert+droht+macht heimliche Militairaktionen+versucht Nato sogar ins Spiel zuverstricken.USA/EU/Nato werden schon ein anderes schmutziges Spiel starten,man hat viele Optionen.Fuer mich ist es unverstaendlich dass EU NatoMinister in jeder regulaeren NatoSitzung teilnehmen koennen+solche Verbrechen ausdenken+unterstuetzen,sie sollten vor Gericht gebracht werden

  • Hallo Herr Beucker,

    vor 2 Wochen, am 1.08. schrieben Sie zur Visumfreiheit:

    "Die EU hätte der Türkei schon vor dem Flüchtlingsdeal Visumfreiheit gewähren müssen. Um Druck auf Erdoğan auszuüben, gibt es bessere Maßnahmen." http://www.taz.de/!5322948/

    Wie würde eine Kombination aus beiden Zielen aussehen?

  • Ein Gala der politischen Heuchler und Taschenspieler wird da aufgeführt. Da veröffentlicht der CDU-Rechtsausleger De Misäre Erkenntnisse, des für seine Verfassungstreue bekannten BND am Außenministerium vorbei. Unterstützung radikaler Gruppen wie Hamas oder Muslimbrüder durch die türkische Regierung - eigentlich kalter Kaffe. Alles schon lange bekannt und kritisiert - aber niemals eine Reaktion von Merkel und Co. Der Rummel jetzt verfolgt zwei Zwecke: 1. Den SPD-Außenminister und potentiellen Kanzlerkandidaten demontieren. 2. Unterstützung für die Ablehnung des EU-Beitrit der Türkei und die konservativen Ultras der CDU sammeln.

    Jahrzehnte lang arbeiteten deutsche und türkische Geheimdienste zusammen, wenn es gegen Linke und Kurden ging - unter der SPD Helmut Schmidts genauso, wie unter Kohls CDU. Egal, ob in Ankara das Militär herrschte oder kemalistische Hardliner an der Macht waren - Berlin und Ankara kooperierten. Die CDU war und ist gegen einen türkischen EU-Beitritt und Visaerleichterungen - und das bestimmt ihre aktuelle Politik. So mancher Sozialdemokrat dürfte da insgeheim zustimmend mit dem Kopf nicken. Die Situation der Menschenrechte in der Türkei war und ist den deutschen Politikern von CDU bis SPD in den letzten 50 Jahren immer egal gewesen. Kontinuität deutscher Politik im 100. Jahr des vom Kaiserreich gedeckten Armenier-Genozids der Osmanen von 1915...

  • Wahrheit kommt eigentlich nur noch durch unvorhergesehene Zufälle oder Sabotagen an die Öffentlichkeit.

    Gut,dass es noch Leute gibt,die das unter schweren persönlichen Opfern möglich machen.

    Am Montag konnte man in der ARD die Doku "Mein Name sei Altmann" ,in der ungeheuerliche Schweinereien des BND dokumentiert wurden.Und der Oberste Dienstherr des BND ist natürlich der Bundeskanzler,der trägt die Verantwortung.

    So ist es auch heute.Merkel weiß seit langem,mit wem sie hier schachert.

    • @Markus Müller:

      "Gut,dass es noch Leute gibt,die das unter schweren persönlichen Opfern möglich machen."

       

      Das ist wohl DeMaiziere. Der ist wegen stiller Obstruktion gegen die Welcome-Politik ja schon mal entmachtet worden und Altmaier als Controller übergeordnet worden. Er hat trotzdem weitergemacht und seine Linie erfolgreich bdurchgesetzt.

       

      Das "Büroversehen" passt. Durch die Umgehung des AA wurde eine Verwässerung und Relativierung der Erklärung durch das AA verhindert.

       

      Letztendlich hat er durch seine Obstruktion der völlig überforderten Merkel den Job gerettet.

  • Vergessen werden immer wieder, die Fateh-al-Scham-Front (Al-Nusra-Front), Ahrar al-Scham und Mitglieder der Dschaisch al-Islam, die von der Türkei aus ebenfalls unterstützt werden. Übrigens, der russische Außenminister Lawrow hat eine längere Feuerpause in Aleppo abgelehnt mit der Begründung: Die Terroristen würden die Zeit nutzen, um neue Kämpfer und Waffen in die Stadt zu holen. So wie es aussieht auch aus der Türkei?

    Daraus müssen Konsequenzen folgen? Ob Konsequenzen folgen entscheiden auch die Medien. Wenn die Medien Druck machen, folgen vielleicht irgendwann einmal Konsequenzen, ansonsten ist die Sache in einigen Tagen vergessen.

    Schlimm wäre es, wenn der Türkei, als Drehscheibe für den islamistischen Terrorismus, Visa-Freiheit gewährt wird.

    • @Medienkritiker:

      "Schlimm wäre es, wenn der Türkei, als Drehscheibe für den islamistischen Terrorismus, Visa-Freiheit gewährt wird."

       

      Wirklich, wäre es schlimm wenn der deutsche Staat türkischen Menschen Freiheiten gewährt? Würden die Reisefreiheit türkischer Bürger die Leiden syrischer Kriegsopfer verstärken?

       

      Schlimm ist in meinen Augen nur das die meisten Menschen so gerne von "Konsequenzen" reden und damit inkonsequentes persönliches Rache-Verhalten meinen.

       

      Die einzig richtige Konsequenz aus einer humanistischen Überzeugung wäre humanistisches Handeln, nicht das Morden an Mördern und das Terrorisieren von Terroristen.