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Kommentar Türkei und PKKErdoğans riskantes Kalkül

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei erinnern an die finsteren 90-er Jahre. Es liegt in der Hand Erdoğans, ob es zu einem solchen Rückfall kommt.

Auf der Beerdigung zweier Polizisten, die am Dienstag in Igdir bei einem Anschlag getötet wurden: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Foto: ap

D ie Bilder erinnern an die dunkelsten Momente der türkischen Geschichte. Angriffe auf Medien und brennende Parteibüros, bewaffnete Kämpfe im Südosten des Landes, ganze Städte im Belagerungszustand und ein Vorstoß der türkischen Armee in den Nordirak, um PKK-Kämpfer zu verfolgen: All das gemahnt an die finsteren 90er Jahre, als der Krieg zwischen dem Staat und der kurdischen PKK-Guerilla über 45.000 Menschen das Leben kostete. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat es in der Hand, ob es zu einem solchen Rückfall kommt.

Erdoğan ist nicht der erste Politiker, der einen Konflikt anheizt, um nationalistische Stimmungen zu schüren und die Massen hinter sich zu vereinen. Sein Kalkül ist klar: Er erhofft sich Rückenwind für die Parlamentswahl am 1. November, die er wiederholen lässt, weil er darauf spekuliert, dass seine Partei dann die absolute Mehrheit erringt, die sie im ersten Anlauf im Juni verfehlt hat.

Die prokurdische Partei der Völker (HDP) hat Erdoğans AKP die Mehrheit gekostet, indem sie über die 10-Prozent-Hürde kam. Obwohl sie sich vom Terror der PKK distanziert, macht Erdoğan sie dafür verantwortlich, um sie zu marginalisieren. Die Geschichte lehrt, dass solche zynischen Strategien leider häufig aufgehen. Man kann nur hoffen, dass es diesmal anders ist, weil Erdoğan Absicht zu offensichtlich ist.

Doch auch wenn seine Rechnung aufgehen sollte: Er geht ein gewaltiges Risiko ein. Sein Konfrontationskurs gegen die Kurden vergiftet das gesellschaftliche Klima und vertieft die politische Spaltung des Landes. Indem Erdoğan den Mob von der Leine lässt, will er sich als starker Mann profilieren, der als Einziger für Ordnung sorgen kann. Aber wenn die nationalistischen Leidenschaften erst einmal entflammt sind, ist das Feuer schwer wieder unter Kontrolle zu bringen. Aus purem Machtwillen bringt sich Erdoğan um seinen größten Verdienst. Denn unter seiner Ägide gab es echte Fortschritte im Friedensprozess.

Aber auch die PKK trägt Verantwortung für die Eskalation. Von den militärischen Erfolgen ihrer Bruderpartei in Syrien berauscht, hat sie ihre Bedeutung offenbar überschätzt. Indem sie mit Anschlägen auf Soldaten und Polizisten nun wieder zum Mittel des Terrors greift, hat sie sich als potenzieller Bündnispartner des Westens im Kampf gegen den IS disqualifiziert. Die Dschihadisten können sich die Hände reiben.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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6 Kommentare

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  • Das sagt der Angehörige eines Landes dass seit Menschengedenken sämtliche Moral auf dem Altar der geostrategischen Interessen opfert? Der Angehörige eines Landes dessen Politiker gegenüber Saudi-Arabien buckeln.

     

    Der Westen hat für 2 einstürzende Hochhäuser Irak und Afghanistan komplett mit Krieg überzogen und fordert von den Kurden sich widerstandslos abschlachten zu lassen.... Wie wärs mal wenn ihr mit guten Beispiel vorangeht?

     

    Gleichzeitig macht der Westen seit Jahrzehnten keinerlei Anstrengungen macht internationale Beobachter in die Kurdengebiete der Türkei zuschicken bzw. den Friedensprozess moderiert. Stattdessen einseitige Parteinahme für die Türkei, die Glück hatte dass der Westen im kalten Krieg einen Brückenkopf gegen Russland brauchte.

     

    Ich als christlicher Kurde aus dem Irak hab für diesen neuerlichen Verrat sämtlichen Respekt für den Westen verloren und auch für Barzani der sich an die Türkei verkauft hat. Die PKK kann aufgrund der Luftangriffe in Sindschar und im Bereich um Kirkuk nichtmehr so effektiv gegen den IS operieren. Selbst der schiitische Premier der sicher nicht verdächtig ist befangen zu sein hat die Türkei kritisiert weil er weiss wie wichtig die PKK für den Kampf gegen IS ist.

     

    Die irakischen Kurden wurden früher auch als Terroristen behandelt während Saddam aufgerüstet wurde, hauptsache er zeigt es mal so richtig dem Iran. So sieht eure konsequente Linie aus.

     

    Eure Schamlosiogkeit kennt echt keine Grenzen, ihr habt mich echt zynisch werden lassen. Viel Spass bei der Bewältigung der Flüchtlingsmassen, dieses Jahr und für alle Zeiten. Wer aus der Vergangenheit NICHTS lernt und weiterhin Partner wie Saudi-Arabien und Türkei hat verdient es auch nicht anders.

    • @Tron1981:

      Bei der Argumentation wundert mich nix.....................

      Armes Kurdistan, das solche Befürworter für sich hat und dann solche Typen wie Erdogan gegen sich....................

      • @onesimus:

        Außer den Kurden selbst hat Kurdistan keine anderen Befürworter. Ich will den neuerlichen Terrorismus nicht gutheißen, doch lässt sich gut nachvollziehen, wie er entstand; aus einem Gefühl der totalen Ohnmacht heraus. Die Kurden, insbesondere PKK und YPD werfen sich gegen den IS ins Zeug, sind offensichtlich der effektivste Gegner dessen und denen wird von allen Seiten noch der Klotz zwischen die Beine geworfen. Dazu fällt einem einfach nichts mehr ein.

        Meine Vermutung ist die, dass Befürchtungen, die marxistisch ausgerichtete PKK und YPD könnte in einem evtl. neuen Kurdenstaat Kontrolle über den nordirakischen Ölreichtum bekommen und man hätte damit ein neues Venezuela. Den Geostrategen ist dabei ein zwielichtiger Erdogan, mordender IS/ Assad lieber, als diese "Kröte" zu schlucken. Kurden kämpfen für einen eigenen Staat. Diese Möglichkeit wollen diese jetzt nutzen und die PKK hat resignativ wieder auf Terrorismus gesetzt, weil sie vom Appeasement der Weltpolitik oder Kommentaren wie Ihren die Schnauze voll haben. Wer kann es den Kurden verdenken ?

        Ich kann die von aller Welt in ihren Belangen vergessenen Kurden gut verstehen. Kurdistan ist arm dran, das brauchen Sie diesem nicht mehr auszustellen.

      • @onesimus:

        Ich hab zuviel in meinem Leben erlitten als dass ich diesen Dreck noch freundlich kommentieren werde, das war der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Als meine Mutter Anfang der 80er vom Saddam-Regime ermordet wurde haben Deutschland und Frankreich grade eine Giftgasindustrie aufgebaut und westliche Politiker gaben sich in Bagdad die Klinke in die Hand. Dafür sollen die damals Verantwortlichen in der Hölle schmoren.

         

        In Deutschland bin ich dann meinem Vater entzogen(gegen seinen Willen) und in einem deutschen Heim 12 Jahre kulturell vergewaltigt worden, als Kriegsflüchtling die eigentlich irgendwann wieder zurück sollen! So wie das ablief war das eine Zwangsassimiliation. Sämtliche Kontakte zu meinen noch existierenden Verwandten wurden gekappt, bis vor wenigen Jahren wusste ich nichtmal wie ich wirklich heisse. Ich hab kaum Kontakt zu Kurden aber unterstütze natürlich die kurdische Sache. Wenn ich euch auf den Sack gehe dann projeziert das nicht auf die Kurden denn ich bin ein deutsches Produkt und lauf hier als Fritz in Aligestalt rum was echt Spass macht, denn der Ali ist nach 2001 nichtmehr wohlgelitten und hat den Iwan als globalen Bösewicht abgelöst.

         

        Ich versuche seit über einer Dekade eine Aufarbeitung mit den Behörden zu erreichen. Ich hatte nie ein Forum meine detaillierten Vorwürfe kundzutun, ich krieg nichtmal ne schriftliche Bestätigung dass ich in diesem Heim war. Da ich im Südirak geboren bin(mein Vater hat damals dort gearbeitet) kann ich nicht belegen dass ich Kurde und komm nicht in den Nordirak.

         

        Dieser Dreck läuft bis heute in allen Teilen der Erde. Der Westen opfert Völker und Menschen nur um den hiesigen Wohlstand zu sichern, muss man dafür Respekt haben?

         

        Wenn Sie was zu sagen haben dann sollten Sie es ausführen.

        Ansonsten ist das nur ein infantiles "MIMIMI ich mag dein Beitrag nicht."

  • Kurios ist ja weniger die Frage ob es den Rückfall geben wird, kurios ist vielmehr wie dieser Taliban in strategische Überlegungen eingebunden wird. Das ist der Skandal.

     

    Mfg.

    • @tätig ist:

      ihn einen taliban zu nennen, macht vor allem ihr weltbild zum kuriosum.