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Kommentar Türkei-VerhaftungenEin Öffnen des rechten Auges

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Über ein Jahr blieben die politischen Attentate in der Türkei unaufgeklärt. Nun wurden die nationalistischen Verschwörer verhaftet. Die Bereitschaft zur Konfrontation macht Hoffnung.

Jürgen Gottschlich ist Türkei-Korrespondent der taz und lebt in Istanbul.

Der Schlag gegen das rechtsradikale Netzwerk in der Türkei kam für Öffentlichkeit wie Betroffene völlig überraschend. Seit über einem Jahr hatten Anwälte, Menschenrechtsgruppen und ein großer Teil der Presse darüber geklagt, dass die türkische Regierung nichts tue, um die Hintergründe mehrerer politischer Attentate aufzuklären. Erst am letzten Wochenende hatte die Witwe des ermordeten armenischen Journalisten Hrant Dink auf der Kundgebung zum Todestag verzweifelt nach Gerechtigkeit für Hrant verlangt. Doch nichts deutete darauf hin, dass diese Forderung bei den Verantwortlichen Gehör finden könnte. Im Gegenteil, erst vor zwei Tagen eröffnete die Justiz ein neuerliches Verfahren gegen die armenische Wochenzeitung Agos, deren Chefredakteur Hrant Dink war.

Dann, scheinbar aus dem Nichts, kam die Verhaftungswelle einer ganzen Seilschaft rechtsradikaler Exmilitärs, Juristen, Journalisten und Mafiosi, die offenbar beim Mord an Dink und in anderen Fällen die Fäden gezogen hat. Wenn die bislang durchgesickerten Ermittlungsergebnisse stimmen, waren der Mord an Hrant Dink und mindestens zwei Anschläge auf christliche Priester Teil einer weiter gesteckten Strategie der Spannung, die das Land im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr so weit destabilisieren sollte, dass das Militär putscht. Viel gefehlt dazu hatte im letzten Frühjahr nicht - Teile des Militärs standen offenbar kurz davor, die Panzer rollen zu lassen.

Mit den Verhaftungen von Dienstag macht die Regierung Erdogan jetzt klar, dass die Drahtzieher dieses Komplotts bekannt und nicht mehr unantastbar sind. Erdogan sitzt nach dem Sieg seiner Partei im Juli letzten Jahres und der anschließenden Wahl seines Parteifreundes Abdullah Gül zum Staatspräsidenten nun offenbar so fest im Sattel, dass er bereit ist, die offene Konfrontation mit dem "Deep State", den nationalistischen Seilschaften aus Armee, Geheimdienst, Bürokratie und Justiz, zu riskieren. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung ist noch offen, aber allein die Verhaftungen zeigen, dass in der Türkei eine Ära zu Ende geht.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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1 Kommentar

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  • BB
    Benjamin Be Djallo

    Erdogan will sich doch nur scheinbar reinwaschen. So wie 1923/1926 Mustafa Kemal, der auch Dreck am Stecken hatte.