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Kommentar Tory-Parteitag und BrexitDas Dilemma des Machterhalts

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Zusammenkunft der Tories in Birmingham dient als Stimmungsbarometer. Wenn May nicht überzeugt, sind ihre Tage gezählt.

Ist Parteichefin und Premierministerin: Theresa May Foto: reuters

D ie britischen Konservativen gehen uneins in ihren Jahresparteitag, der am Sonntag in Birmingham begonnen hat. Der Brexit-Plan über eine fortdauernde Anbindung Großbritanniens an die Regeln des EU-Binnenmarkts, den Premierministerin Theresa May im Juli ihrer Regierung aufdrückte, ist in der vorliegenden Form tot: an der Basis unbeliebt, von Brüssel zurückgewiesen, im Parlament chancenlos. Brexit-Rebellen um Boris Johnson drängen jetzt auf einen neuen Vorstoß zu einem Freihandelsabkommen mit der EU nach Ceta-Vorbild – oder eben einen Austritt ohne Vertrag.

Eine Entscheidung darüber fällt der viertägige Parteitag nicht, auch nicht über den Verbleib Mays als Parteichefin und damit als Premierministerin. Die Zusammenkunft dient aber als Stimmungsbarometer. Wenn May nicht überzeugt, sind ihre Tage gezählt.

Die Konservativen sind zwar keine ideologische Partei, sondern ein Apparat zum Zweck des Machterhalts. Und normalerweise eint sie dieser Zweck. Aber wenn der Machterhalt ungewiss ist, spaltet er sie. Das Erstarken einer selbstbewussten linken Opposition hat die Tories in Selbstzweifel getrieben. Sie brauchen daher zumindest eine Führung, die nicht den Selbstzweifel personifiziert. Was bei May ehrlich gemeint ist, ist für die Partei Gift.

Sind die Tories jetzt also reif für einen Schauspieler wie Boris Johnson, der Optimismus ausstrahlt und immerhin zweimal Bürgermeister der Labour-Hochburg London wurde? Wahrscheinlich kommt der Parteitag dafür doch zu früh. Denn neue Machtkämpfe sind das Gegenteil von dem, was das Land braucht, um einen klaren Kurs zu finden. Nachdem seit dem Labour-Parteitag die Labour-Opposition in den Umfragen überraschend zurückfällt, auf die niedrigsten Werte seit den Wahlen 2017, könnte Geschlossenheit den Konservativen mehr nützen als Streit.

Wahrscheinlich werden die Tory-Größen daher doch alle wie ein Mann um May stehen. Allerdings so eng, dass sie gar nicht mehr wissen wird, wo sie selbst steht.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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1 Kommentar

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  • Das Problem sind die Tories selbst. Demokratie lebt vom Wechsel. Labour hat sich neu formiert, die Konservativen sollten eine Runde in der Opposition machen. Das wäre auch für Europa das Beste. Es gibt nämlich mehr als zwei Parteien in England. Neben den Liberalen festigen sich die Werte für die Grünen. Die Verbände von England und Wales haben sich bereits vereint. Niedrige Umfragewerte für Labour erklären sich leicht. Die ganze Partei setzt sich vehement für Remain ein, nur der charismatische Führer Corbyn steht für Leave. Dabei wird deutlich, ihm ist klar, aus taktischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen sollte Labour an die Spitze des Remain Lagers stellen, doch vom Herzen her gehört Corbyn zur älteren Generation. Die Leute vom Kontinent sind ihm fremd, die EU wirkt bedrohlich. Dadurch fehlt der Arbeiterpartei die Richtung. Statt vom Streit um PM May zu profitieren beschäftigt sich Labour mit eigenen Querelen. Es erinnert an Italien, wo die Sozialdemokraten auch schwach aussehen.