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Kommentar Theresa Mays RegierungNeuanfang mit hohem Anspruch

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Theresa Mays Kabinett ist eine Brexit-Regierung – eine, die nicht mit sich spaßen lassen wird. Dennoch verdient der Start Anerkennung.

Winke, winke, EU: Theresa May und Ehemann Philip Foto: reuters

E s sollte eigentlich nur eine Stafettenübergabe innerhalb einer Regierungspartei sein, aber Theresa Mays Amtsantritt als neue britische Premierministerin und Nachfolgerin David Camerons mutet an wie ein Machtwechsel. Das zeigt der Ton ihrer ersten Rede und auch das Profil ihrer ersten Ministerialbesetzungen.

Soziale Gerechtigkeit und das Ende von Diskriminierung hat sich May auf die Fahnen geschrieben: gleiche Lebenschancen für die Armen, Gleichbehandlung für Schwarze im Rechtssystem, gleiche Aufstiegsmöglichkeiten für die weiße Unterschicht, gleicher Lohn für Frauen, Verbesserungen für psychisch Kranke, Sicherheiten für die Jugend. „Wenn man aus einer einfachen Arbeiterfamilie stammt, ist das Leben viel schwerer, als die meisten in Westminster ahnen“, sagt die neue Regierungschefin und verspricht, in erster Linie für diese Zielgruppe zu regieren.

Wer braucht da noch einen Jeremy Corbyn als Held des Klassenkampfes oder einen Nigel Farage als Stimme der Unzufriedenen? Theresa May kann glaubwürdig so reden, denn das tat sie schon zu Beginn ihrer politischen Karriere. Sie knüpft nahtlos an das utopische Denken Tony Blairs an, und auch an den Beginn von David Camerons Modernisierungsagenda für die Konservativen als Zentrumspartei der sozialen Inklusion.

Die hatte Cameron als Premierminister irgendwann ad acta gelegt, um sich um Europa zu kümmern, mit dem bekannten Ergebnis. Nun ist der Streit um Europa entschieden, das Wesentliche kommt wieder zum Vorschein.

Allen linken Klischees zum Trotz sind die britischen Konservativen eben keine böse, hartherzige, arrogante und elitäre Partei des Klassenkampfes von oben. Sie sind in der Tiefe ihres Wesens hoffnungslose Romantiker, die an das Gute im Menschen glauben und davon ausgehen, mit der richtigen Politik dieses Gute freisetzen und damit das Land voranbringen zu können. Das galt sogar für Margaret Thatcher, deren Antrittsrede 1979 der von Theresa May 2016 sehr ähnlich war – was allerdings auch zeigt, dass schöne Worte nicht automatisch zu schöner Politik führen.

Zwei neue Ministerien

Wie Theresa Mays Politik aussehen könnte, zeigen ihre ersten Personalentscheidungen. Der bisherige Finanzminister George Osborne, Symbol der Austeritätspolitik vergangener Jahre, verschwindet in der Versenkung. Sein Nachfolger Philip Hammond dürfte ebenso unscheinbar bleiben wie in seiner bisherigen Funktion als Außenminister. Neuer Außenminister wird Boris Johnson, der schillernde Wortführer des Brexit.

Auch hier gilt es, ein linkes Klischee zu begraben: Johnson ist kein engstirniger Nationalist, sondern ein Kosmopolit, für den der Brexit eine Befreiung von den Fesseln einer bornierten EU und den Sprung in die weite Welt darstellt. Als Außenminister einer UN-Vetomacht ist Johnson mit seinem internationalistischen Instinkt und seinem Sinn fürs Groteske auf jeden Fall eine Bereicherung auf dem diplomatischen Parkett.

Allen linken Klischees zum Trotz sind die Konservativen keine hartherzige und elitäre Partei des Klassenkampfes von oben

Weniger spektakulär, aber von mehr Gewicht ist die Schaffung zwei neuer Ministerien, besetzt von zwei Brexit-Schwergewichten: David Davis, ein Traditionalist mit hohem innerparteilichen Standing, als Brexit-Minister mit dem schönen Titel „Secretary of State for Exiting the European Union“, sowie Liam Fox, Exponent des rechten Parteiflügels, als Chef eines neugeschaffenen Außenhandelsministeriums.

Alle Energien fließen in den Brexit

Davis wird die Brexit-Verhandlungen mit der EU einfädeln und Fox die Handelsabkommen, die Großbritannien ohne EU ganz dringend mit dem Rest der Welt braucht, um seine Führungsposition im Welthandel und im globalen Finanzsystem nicht zu verlieren. Sie werden die Arbeit machen, Johnson liefert die Kulisse.

So wird Mays Kabinett tatsächlich eine Art Brexit-Regierung – und zwar eine, die nicht mit sich spaßen lassen wird. Was auch für May selbst als Regierungschefin gilt. Es ist eine formidable Mannschaft, die die neue Frau in 10 Downing Street da um sich schart.

Die Schwachstelle ist indes klar: Wenn in den nächsten Jahren alle Energien in den Brexit fließen, bleiben soziale Inklusion und Kampf gegen Ungerechtigkeit dann wohl doch wieder ein reines Versprechen für den nächsten Wahlkampf 2020. Das ist ein Spiel mit der Politikverdrossenheit, und es funktioniert nur, solange es keine handlungsfähige Opposition gibt.

Erst einmal aber ist diesem politischen Neuanfang nur drei Wochen nach dem Brexit-Schock – und vielen panischen Warnungen, Großbritannien werde ins Chaos stürzen – Anerkennung zu zollen: Theresa May hat sich selbst hohe Ansprüche gesetzt. Es ist Großbritannien zu wünschen, dass sie sie meistert.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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6 Kommentare

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  • Also, wie jetzt: Eine Erzkonservative schnappt sich die Macht, wenn es grad opportun ist - super Frau! Sie bestellt Minister, zumeist genau die Torfnasen, die den Karren tief in den Dreck gesetzt haben - formidable Mannschaft! Sie frisst Kreide und säuselt irgendwas - hach, sie glaubt an das Gute im Menschen!

     

    Dominic Johnson ist ein Tory in Disguise. Oder doch vielleicht ganz offen?

     

    Ehrlich gesagt, will ich in meiner taz so einen Quatsch nicht lesen. Für blödsinnige Lobhudeleien über fiese Konservative kann ich mich jederzeit zum "Telegraph" klicken.

  • DJ leistet sich wieder mal absurde Fehlwahrnehmungen. Ich habe 15 Jahre in GB in Wissenschaft und Wirtschaft gearbeitet: an den Konservativen ist nichts menschenfreundliches und nichts zukunftsweisendes außer immer mehr vom immer falscheren: Steuern runter, privatisieren, deregulieren, Umverteilen von unten nach oben, Zynismus und Feigheit.

  • Thatcher war ein skrupeloser Kotzbrocken auf zwei Beinen, eine zynische und verschlagene, egomanische Imperialistin mit einem unübersehbaren Hang zu Standesdünkel und deutlichen Anzeichen von Soziopathie. Zusammengefasst eine der größten Plagen für ihr Land und das Europa der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

     

    Wollen wir mal für alle Beteiligten hoffen, dass Mrs. May da nicht in die gleiche Kerbe haut.

     

    Der Rest des Artikels ist keine weitere Silbe wert, wer die Tories schwülstig als "hoffnungslose Romantiker" charakterisiert, der boxt sich selbst aus jeder ernsthaften Debatte.

  • Sie war nie für einen Brexit. Sie wird schlau genug sein um diesen elenden Brexit-Kelch vorübergehen zu lassen. Im Moment spielt sie noch das Brexit-means-Brexit Spielchen um zu demonstrieren, dass ihr des Volkes Wille wichtig ist.

     

    Dieser ist allerdings nur so lange wichtig, bis es wichtigere Gründe dagegen gibt. Die Zeit wird ihr diese Gründe liefern, sie braucht nur darauf zu warten.

     

    Dadurch, dass Ober-Kasper B.Johnson, der ja ebenfalls hoffte, dass der Brexit nie wirklich wird, dabei mitmachen muß, macht sie sich auch innerhalb der eigenen Partei unangreifbar für diese Position. Natürlich weiß jeder dass Lügen-Boris die ungeeignste Person überhaupt ist, um die Brexit-Verhandlungen zu führen.

     

    Die Ernennung zeigt ganz klar, dass sie diese gar nicht beabsichtigt. Gestern sagte sie: Der Artikel 50 sollte aktiviert werden, wenn wir dazu bereit sind.Das ist Diplomatensprache und bedeutet übersetzt: Wir denken nicht daran den Artikel 50 zu aktivieren. Alles andere käme einer Selbstamputation gleich für die GB viele Generationen bezahlen müssten.

     

    Es wird sich niemand finden, der den Brexit tatsächlich beantragt. Dessen Name wäre für immer mit dem Niedergang des Brittish Empires verbunden. Der Schaden der bisher angerichtet wurde ist bereits groß genug!

    • @Radl Rambo:

      How I wish this just might be true !

  • "Die britischen Konservativen (...) sind in der Tiefe ihres Wesens hoffnungslose Romantiker, die an das Gute im Menschen glauben und davon ausgehen, mit der richtigen Politik dieses Gute freisetzen und damit das Land voranbringen zu können." - Dein Wort in Gottes Ohr, lieber Dominic Johnson. Ließe sich das allerdings nicht fast von allen Ideologen sagen?

    Viele Grüße,

    Peter Kultzen