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Kommentar Straflose DefizitsünderGegen den Schäublerismus

Kai Schöneberg
Kommentar von Kai Schöneberg

Die EU-Kommission will keine Defizitstrafen für Spanien und Portugal. Gut so – die Sparwut hat Europa viel zu sehr im Griff.

Die Krisenstaaten leiden schon viel zu lange unter Sparpaketen Foto: dpa

W ozu sind Regeln da, wenn sich niemand dranhalten muss? Dass die EU-Kommission keine Geldstrafen für Spanien und Portugal empfiehlt, ist dennoch goldrichtig. Gute Eltern ohrfeigen ihr Kind ja auch nicht – und wenn es zum zehnten Mal die Milch umkippt. Aber: Vielleicht hilft ein strenges Wort, dass es nicht wieder zur Sauerei kommt. Und Geduld. Viel Geduld.

Erstens: Die Entscheidung aus Brüssel ist eine Entscheidung gegen den sparwütigen Schäublerismus – und ein weiteres Indiz dafür, dass die Südländer im Brexit-Europa an Gewicht gewonnen haben. Zweitens: Sie hätte die Front der Gegner Europas verbreitert.

Drittens: Sie zeigt Geschichtsbewusstsein. Seit 1999 haben die EU-Staaten in 165 Fällen die im Maastricht-Vertrag erlaubte Neuverschuldung von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschritten. Deutschland, auch mal „kranker Mann Europas“, riss die Grenze unerlaubt – und unbestraft – satte fünf Mal. Genauso häufig wie nun Spanien.

Damit sind wir, viertens, bei der Widersinnigkeit von Defizitstrafen: In Spanien ist die Arbeitslosigkeit jetzt erstmals seit sechs Jahren unter 20 Prozent gerutscht, in Portugal liegt sie bei 11,6 Prozent. Millionenstrafen würden Madrid und Lissabon ja weiter zu Kürzungen bei Renten, Pensionen oder Investitionen verleiten – und so die seit Jahren maue Wirtschaftslage unnötig verschlechtern. Diese ist ja geradezu die Folge der von der EU mitverordneten Sparpakete, unter denen die Krisenstaaten schon viel zu lange leiden.

Deshalb wäre es, fünftens, klug, wenn Madrid und Lissabon Maastricht weiter brechen würden – um mehr in Bildung, Konsum und Infrastruktur investierten. Das ist wegen historisch niedriger Zinsen spottbillig.

Aber ganz so lax ist, sechstens, selbst die EU nicht: Die Drohung, Mittel aus den EU-Strukturfonds auf Eis zu legen, wurde in die Zukunft verschoben. Dies ist an Voten von Rat und EU-Parlament gekoppelt – also relativ unwahrscheinlich. Gut so.

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Kai Schöneberg
Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt
Hat in Bonn und Berlin Wirtschaftsgeschichte, Spanisch und Politik studiert. Ausbildung bei der Burda Journalistenschule. Von 2001 bis 2009 Redakteur in Bremen und Niedersachsen-Korrespondent der taz. Dann Financial Times Deutschland, unter anderem als Redakteur der Seite 1. Seit 2012 wieder bei der taz als Leiter des Ressorts Wirtschaft + Umwelt, seit August 2024 im Sabbatical.
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4 Kommentare

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  • Okay, das für und wider der Strafen und ob man in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum sich an Regeln halten sollte ist schon oft genug diskutiert worden, und es wird sich auch irgendjemand immer finden der Argumente gegen das Einhalten findet.

    Aber 2 andere Punkte in dem Artikel sollte man doch nochmal überdenken:

     

    Die "historisch" niedrigen Zinsen, sind dort nicht einfach so, weil die Zinsen dort gerade Lust drauf haben, diese wurden gesenkt um erstens mehr Geld in die Realwirtschaft zu spülen ( was nicht funktioniert, da sich Geld die besten Renditechancen sucht und die gibt es in der EU nun mal nicht in Spanien und Portugal) und zweitens um bei der Refinanzierung der Staatsverschuldungen Druck von den südeuropäischen Staatshaushalten zu nehmen über die Zinsen. Wenn ich nun "kräftig" zuschlage bei der Neuverschuldung und es hat nicht den gewünschten Effekt (den es gar nicht haben kann, da auch die Synergien aus den Staatsausgaben siehe oben nicht in Spanien/Portugal verweilen), stehe ich wieder beim gleichen Problem wie vor der Zinssenkung, ich kann nur die Zinsen nicht mehr senken. Durchaus interessant, dass man 3-4 Jahre nachdem das System vor die Wand gefahren ist, immer noch nach "mehr" von diesem System schreit.

     

    Aber das ist ja harmlos.. wenn der "Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt" den Satz schreibt" um mehr in Bildung, KONSUM und Infrastruktur INVESTIEREN" fragt man sich schon ein bisschen, ob das Ironie sein soll. In Konsum kann man nicht investieren, es sind genaugenommen entgegenstehende Begriffe (und eines der größten Probleme von staatlichen "Investitionsprogrammen"), dass ist ca. so als wenn Ihnen ein Alkoholiker sagt "Leih mir mal Geld, ich richte meine Wohnung ein, mit den leeren Wodkaflaschen aussm Aldi!"

  • was kaum ein Politiker versteht (Verheugen ist die Ausnahme), die meisten Volkswirtschaftler auch nicht wahr haben wollen: flächendeckende Lohmkürzungen lassen den Binnenmarkt einbrechen und bringen fast immer höhere Arbeitslosigkeit und höhere Staatsverschuldung - aus diesem Grund stehen Spanien und Portugal wirtschaftlich besser als Griechenland da,

    das größte Problem ist aber Deutschland mit seinem extremen Exportüberschuss = Exportdefizit anderer Länder bzw deren Schulden

    • @Michael Kroker:

      Das groesste Problem sind die Mittelmeerlaender mit ihren Strukturschwaechen: 35-Stundenwoche in Frankreich, Unmaessige Korruption in Sueditalien und Griechenland, katastrophal Stadtverwaltung in Rom, usw. Wieso funktioniert es in Schweden, Daenemark, Irland, den Niederlanden und nicht in Griechenland? Da laeuft doch was schief, zB Steuerzahlungen fehlen schlicht und einfach. Oder ein aufgeblaehter Staatssektor.

    • @Michael Kroker:

      "Exportüberschuss = Exportdefizit anderer Länder bzw deren Schulden"

       

      Wer hat diesen Quatsch eigentlich verbreitet? Zum einen könnten sehr wohl alle Länder einen Exportüberschuss gleichzeitig aufweisen (dafür müssten nur die Wertschöpfungen in den Ländern groß genug sein), daher führt kein Exportüberschuss direkt zu einem Exportdefizit eines anderen Landes. Ebenso führt auch ein Exportdefizit nicht zu direkter Staatsverschuldung, nur wenn der Staat die Lücke zwischenfinanziert.

       

      Das Prinzip, was sie hier anwenden wollen, kennt man wenn dann aus schwellen/Entwicklungsländern, hier ist aber eher das Problem, das man Rohstoffe ausführt, dann Devisen tauscht über Pump finanziert, und Industrieprodukte einführt , und ohne eigene Wertschöpfung so auf Kredit den Konsum (meistens der oberen 10000) finanziert mit Industrieprodukten.