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Kommentar Stasimitarbeiter im öffentlichen DienstDer überfällige Skandal

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Das Problem an der aktuellen Debatte ist nicht, dass sie geführt wird - für diese Transparenz sind die Ostler vor zwanzig Jahren auf die Straße gegangen. Das Problem ist, wie das geschieht.

D ie Frage war, wo bleibt der Skandal. Mit schöner Regelmäßigkeit bestimmt das Thema Staatssicherheit die öffentliche Debatte, in einem Wahl- und Wendejubiläumsjahr wie diesem war der Aufschrei im Grunde überfällig. Aber jetzt ist es soweit. Tausende ehemalige Stasispitzel arbeiten im öffentlichen Dienst, meldet exemplarisch die Financial Times Deutschland. Und das, obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst in den neuen Bundesländern seit 1990 - also seit 19 Jahren - wiederholt auf eine frühere Tätigkeit für die Staatssicherheit überprüft wurden.

Viereinhalb Millionen Menschen arbeiten im öffentlichen Dienst. 17.000 von ihnen waren vor zwanzig Jahren für das Ministerium für Staatssicherheit in den verschiedensten Funktionen tätig. Sogar das Bundeskriminalamt beschäftigt heute noch 23 ehemalige Stasileute. "Jeder Einzelfall ist genauestens überprüft worden", heißt es im Bundesinnenministerium. Das, möchte man erwidern, ist ja wohl das mindeste. Das gebietet schon der Respekt vor den Opfern der Staatssicherheit. Eben jene Opfer waren es aber auch, die nach der Wende gefordert haben, jede Tätigkeit für die Staatssicherheit bitte schön im Einzelfall zu beurteilen, um nicht das Kantinenpersonal mit den Verhörspezialisten gleichzusetzen.

Bild: privat

Anja Maier ist Redakteurin der sonntaz.

Das Problem an der aktuellen Debatte ist nicht, dass sie geführt wird - für diese Transparenz sind die Ostler vor zwanzig Jahren auf die Straße gegangen. Das Problem ist, wie das geschieht.

Wenn beispielsweise der Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat sagt, er gehe "von mehreren zehntausend" einstigen IM in Ministerien und Behörden aus, wenn er von "Dimensionen, die bisher keiner geahnt hat" spricht, erstaunt es, dies von einem Wissenschaftler zu hören, der sich seit vielen Jahren mit der Materie befasst. Diese Überraschung, mit Verlaub, überrascht.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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6 Kommentare

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  • S
    Selina

    Danke der Autorin für diesen sachlichen Artikel. Es ist schon erstaunlich, dass dieses Thema zu bestimmten Zeiten immer sensationell hoch gekocht wird. Bestimmte Kreise müssen wohl daran ein Interesse haben. Der Einschätzung von Sunny kann ich leider nicht so recht folgen!?

  • L
    libertas

    Wenn man mit den Stasi-Leuten ähnlich konsequent umgegangen wäre, wie mit den NS-Verbrecher_innen nach 1945, gäbe es jetzt weit mehr als 17.000 ehemalige Stasi-Leute im öffentlichen Dienst.

     

    Schau dir die sog. Entnazifizierung besser noch mal genauer an ;-)

  • L
    libertas

    Wenn man mit den Stasi-Leuten ähnlich konsequent umgegangen wäre, wie mit den NS-Verbrecher_innen nach 1945, gäbe es jetzt weit mehr als 17.000 ehemalige Stasi-Leute im öffentlichen Dienst.

     

    Schau dir die sog. Entnazifizierung besser noch mal genauer an ;-)

  • R
    Richard

    Man ist auch nach dem Krieg mit den NS-Leuten nicht härter umgegangen. Ein Filbinger oder ein Waldmann mussten nur in Ausnahmefällen abtreten (und auch dann erst Jahre später). Die "Entnazifizierung" ist allein daran gescheitert, dass dann die gesamte Verwaltung zusammengebrochen wäre. Analoges ist auch in der Ex-DDR geschehen.

    Ansonsten kann ich mich meinem Vorredner nur anschließen, treue und gewissenlose Staatsdiener sind einfach eine feine Sache, auf die kann sich ein System einfach verlassen...

  • A
    Aviator

    Sunny, wo gab es denn bitteschön einen "konsequenten" Umgang mit Unrechtssystemträgern der Nazizeit? Ein solcher ist nie erfolgt. Wie auch, auf die ganzen Experten in Verwaltung, Recht, Militär etc. konnte man nicht verzichten, wollte man ein staatliches Gebilde auf die Beine stellen. Nur die Spitze des Eisberges davon ist, dass einer von jenen Trägern des Unrechtssystems mal über die CDU badenwürtembergischer Ministerpräsident wurde, und einer seiner Nachfolger, ebenfalls CDU, hat den widerlichen Versuch gemacht, ihn anschließend als Gegner des Natioalsozialismus wieder reinzuwaschen.

     

    Dieser "Aufschrei" ob der "Stasileute im Staatsdienst" ist scheinheilig, vor allem wenn er von Herrschaften aus dem konservativen Lager heraus erfolgt. Herr Bosbach sollte mal erst in seiner Partei die eigene Geschichte aufarbeiten, bevor er mit seinem ideologischen Feind nach 20 Jahren der Einheit strafrechtlich abrechnet. Würden sich all die Entsetzten dieser Tage einmal damit auseinandersetzen, wieviele Nazis in der Nachkriegszeit Eintritt in den öffentlichen Dienst gefunden haben und sich dort ein schönes Nachkriegsleben aufbauen durften, sie würden erneut erschrecken. Neue staatliche Strukturen lassen sich nicht einfach erstellen, indem man die alten Leute rauswirft und neue Leute von der Straße wegrekrutiert. Leider.

  • S
    Sunny

    Der Fehler war halt, dass man mit den Stasi-Leuten nicht ähnlich konsequent verfuhr, wie nach dem Krieg mit den Unrechtssystemträgern der Nazi-Zeit. Diesmal hat man sich halt -- vielleicht aus Bequemlichkeit (?) -- gesagt, gewissenlose aber ansonsten treu ergebene Staatsdiener kann man immer gut gebrauchen. Das genügte. Unfassbar und sehr ungewöhnlich für deutsche Verhältnisse.