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Kommentar Ständige ErreichbarkeitDer Fluch der Technik

Kommentar von Frédéric Valin

Arbeitnehmer sind nicht wegen Smartphones ständig erreichbar, sondern wegen ihrer Abstiegsangst. Diese Angst könnte ihnen Ursula von der Leyen nehmen.

Im Urlaub erreichbar: ist das Handy schuld? Bild: ap

W er hat Schuld daran, dass sich immer mehr Menschen von ihrem Job drangsaliert fühlen? Von der Leyen hat da eine interessante Theorie, die den Vorteil hat, niemanden konkret anzugreifen: es ist – Trommelwirbel – das Smartphone.

Der Fluch der Technik ist die ständige Erreichbarkeit, und diesem Fluch müssen nun beide, Arbeitnehmer und -geber, begegnen: indem man feste Kommunikationszeiten ausmacht zu Beispiel, indem man in seiner Freizeit offline ist.

Das ist beeindruckend kurz gesprungen, denn es wird wohl niemand freiwillig das Wochenende über sein Diensthandy freiwillig mit sich spazieren tragen. Und doch ist das die Realität in der Arbeitswelt. War lange Zeit das Angestelltenverhältnis idealtypisch, sind jetzt die Freiberufler großes Vorbild bei der Arbeitsorganisation: das Zauberwort heißt Flexibilität, vor allem zeitliche. Von der Leyen selbst fordert sie, wenn sie nicht über Burnout redet, gerne ein, zum Beispiel gegenüber Alleinerziehenden.

Nun sind Burnout und psychische Belastungsstörungen durchaus ein wichtiges Thema. Erst im März dieses Jahres veröffentlichte der DGB eine Studie, nach der sich immer mehr Arbeitnehmer von ihrer Tätigkeit gestresst fühlen. Die OECD vermutet, dass bis zur Hälfte aller Frühverrentungen wegen psychischer Belastung beantragt werden; mindestens 20 Prozent aller Arbeitnehmer seien ausgebrannt, manche Studien sprechen von fünfzig Prozent.

Bild: Claudia Thomas
FRÉDÉRIC VALIN

ist Autor der taz.

Angst vor dem Abstieg

Warum tut man sich das an? Nur weil so ein Diensthandy keinen Aus-Knopf hat? Weil das Smartphone einen zwingt, jede geschäftliche Mail, sobald sie im Postfach liegt, innerhalb dreißig Minuten zu beantworten?

Doch die ständige Erreichbarkeit ist nicht nur belastend; laut einer Umfrage aus dem Jahr 2009 sind 73 Prozent der berufstätigen Internetnutzer auch außerhalb des Jobs für ihre Arbeit erreichbar. Längst nicht alle davon sind der Verzweiflung nahe. Es ist vielmehr so (und das weiß man, seit es das Internet gibt), dass die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwindet.

Die Belastung ist tatsächlich eine andere: Hartz IV ist nicht deswegen so niedrig, um Arbeitslose zu gängeln. Das ist nur der Nebeneffekt. Hartz IV reicht deswegen kaum zum Leben, um einen Leidensdruck aufzubauen, der die fortwährend und immer stärker vom Abstieg bedrohte Mittelschicht das Fürchten lehren und disziplinieren soll.

In der Angst, in der sozialen Versenkung zu verschwinden und ein Leben mit Behördengängelei und in schikanösen finanziellen Verhältnissen zu fristen, passt er sich an die heutige Arbeitswelt an.

Man beugt sich nicht dem Smartphone

Das ist das eine; wenn Angestellte ihr Rückgrat an den Garderobenständer hängen, dann aus Furcht vor Jobverlust und dem anschließendem Abstieg. Diese Furcht könnte man ihnen durchaus nehmen, allein: Ursula von der Leyen ist gegen die Sockelrente zur Bekämpfung der Altersarmut. Gegen das Grundeinkommen sowieso.

Denn, so sagte sie im Sommer letzten Jahres, sie befürchte von beiden Vorhaben „eine negative Signalwirkung im Hinblick auf die Stärkung der Eigenverantwortung der Bürger“. Die Eigenverantwortung der Bürger, das ist seine Abhängigkeit vom Lohnerwerb.

Das Problem dabei ist nicht, dass man sich seinem Smartphone beugt, sondern dem Willen seines Chefs oder Auftraggeber unter Vernachlässigung eigener Bedürfnisse. Smartphones machen die Leine nur ein kleines bisschen kürzer. Die Schwierigkeit ist vielmehr, wenn sich abhängig Beschäftigte nicht trauen, ihrem Vorgesetzten zu sagen, dass die Präsentation erst in drei Wochen ist und deswegen die Fertigstellung auch noch Zeit hat bis Montag.

Da hilft kein Ausknopf, da hilft nur ein gewisses Maß an Unabhängigkeit. Wer die Menschen entlasten will, muss sie von ihren Abstiegsängsten befreien. Nicht von ihren Smartphones.

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6 Kommentare

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  • S
    Sich.-Ing.J.Hensel

    Mal wieder kein Wort über Arbeitsschutz !

  • TW
    Thomas Wöhlke

    Wenn Frau von der Leyen gerne den Mailserver von Volkswagen als Vorbild für billig dumpfe Populistische Parolen nimmt und anderereseits glaubt, sie selbst kaufe sich Medienkompetenz, nur weil sie sich im Apple Shop ihr iPad kaufen kann ...

     

    ... so frage ich mich warum 60% meines Arbeitentgelts eine arbeitsfaule und feige Regierung bezahlt, deren Aufgabe es ist Arbeitnehmer gemäß Artikel 2 und 14 Grundgesetz zu schützen.

     

    Es ist Aufgabe der Regierung Gesetze umzusetzen und nicht nur blödes Zeug zu reden, sobald die Presse in der Nähe ist.

  • O
    ohno

    Diese Angst _will_ uns "Frau von der Leyen" ja gar nicht nehmen! Die liegt doch im Interesse Ihrer Auftr^h^h^h^h^hKlientel, dafür ist sie doch gek^hgewählt worden.

  • T
    T.V.

    Ich seh weniger in Abstiegsängsten das Problem, als vielmehr in der Kommunikation. Förderte unsere Gesellschaft jahrzehnte lang immer mehr die Individualisierung deren negative Seite die Vereinsamung ist, scheint die moderne Technik das Gegenteil zu liefern. Jedenfalls kann ich mir nur so den z.T. krankhaften Hype diverser Geräte und Programme erklären.

    So wie die Klischeeteenagerin erstmal den Umgang mit dem Telefon lernen muß(te), müssen scheint's momentan ziemlich viele beliebige Menschen, wie eben auch die Arbeitnehmer den Umgang mit der 'neuen' Technik noch lernen. Das Nein-Sagen zum Chef ist da nur eine von mehreren Facetten.

  • P
    pflichtfeld

    Ganz genau.

  • H
    h3x3

    Als 24jähriger, Student und parallel ins Arbeitsleben rutschender mache ich momentan meine ersten Erfahrungen in der Arbeitswelt genau unter den beschriebenen Bedingungen: Arbeit heute ist entgrenzt, Flexibilität und Erreichbarkeit 24/7 wie im drive-through die Norm.

     

    Sich bewusst zu werden, dass man in vorauseilendem Gehorsam flexibel ist und auch ja immer so rüber kommen will, das ist mE aber schon ein großer Schritt.

    Sich davon zu lösen Bedarf eines Prozesses, der über den und die EinzelneN hinausgeht.

    Akademisch verklausuliert findet die Debatte gerade erst ihren Eingang in die Diskussion über Gefasel von "work life balance".

     

    Ein natürliches Gespür für eigene Grenzen und Selbsschutz, Das wäre wieder mehr nötig. Gerade für Einsteiger in die Arbeitswelt, die die "guten alten Zeiten" nicht mitbekommen haben.