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Kommentar StaatsversagenZart ermutigendes Zeichen

Ambros Waibel
Kommentar von Ambros Waibel

Die von allen Parteien im Bundestag verabschiedete Resolution ist ein Anfang. Wenn jetzt bei den Sicherheitsbehörden auch noch Konsequenzen folgen, stimmt die Richtung.

G erade beginnt die deutsche Öffentlichkeit zu begreifen, dass ganz Europa nach Berlin schaut, weil nur von hier aus der Euro und damit die Gemeinschaft gerettet werden können. Doch angesichts des Ausmaßes und des Umgangs mit dem neonazistischen Terror dürften nicht nur den Deutschen Zweifel kommen an der Eignung der Bundesrepublik als Leitbild des Kontinents.

Zeigen die Verbrechen doch ein Land, das immer Zeit und Geld hat für Sonntagsreden, für Denkmäler und Symposien, das aber seine ganz realen Bürger nicht vor eliminatorisch-rassistischen Mördern schützen kann.

Das schreckliche Versagen von Politik, Polizei und Diensten erinnert fatal an die Spiele von München 1972, als sich der westliche Teil des ehemaligen Nazistaates als harmlos-fröhliches Land präsentieren wollte, um dann dem Terror gegen das israelische Olympiateam nur mit heilloser Unprofessionalität begegnen zu können.

Vor diesem Hintergrund ist die gestrige Resolution des Bundestages ein zart ermutigendes Zeichen - und nicht nur, weil die Unionsparteien über ihren Schatten gesprungen sind und sie zusammen mit der Linkspartei verabschiedet haben. Wer meint, den Kampf gegen rechts ohne die Linken führen zu können, indem man sie mittels eines kruden Totalitarismusbegriffs auszuschließen sucht, ist entweder ideologisch verbohrt oder schlicht ahnungslos.

Bild: Alexander Janetzko
AMBROS WAIBEL

ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.

Die Allparteien-Resolution trifft den richtigen Ton. Sie klingt erwachsen. Die Taten werden nicht verharmlost. Man steht ein für ein Land, "in dem alle ohne Angst verschieden sein können". Kein Innenminister verkündet - wie 1992 Rudolf Seiters nach dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen -, nun müsse der Staat handeln: nicht gegen die Nazis, sondern gegen den "unkontrollierbaren Zustrom" von Asylbewerbern. Stattdessen ist die Rede von "unabdingbaren Konsequenzen für die Arbeit der Sicherheitsbehörden".

Es wird spannend sein zu sehen, ob den Worten auch Taten folgen - etwa beim nächsten Polizeieinsatz gegen friedlich sich den Rechten entgegenstellende Bürgerinnen und Bürger.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.
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5 Kommentare

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  • V
    Volksverdummung

    Das Gedenken darf die ausstehende "AUFKLÄRUNG" nicht vergessen machen.

     

    Es war ja zu erwarten/zu befürchten! - Dieses "zarte Zeichen", das aber noch kein STARKES POLITISCHES SIGNAL gegen den EXTREMISMUS ist!

    Ist es etwa "ermutigend", dass niemand eine unabhängige parlamentarische Untersuchungskommission fordert (weder im Bundestag, noch in der "Presse"), eine Kommission, die auch uneingeschränkten EINBLICK in gesperrte VS-AKTEN (Täterschutz aus Staatsräson?) erhalten müsste?

    .

    Eine Offenlegung ("Aufarbeitung") dieses konspirativ organisierten und unkontrollierten "Sumpfes" (...wie sagte doch VS-Präsident Fromm: möglicherweise relevante Akten seien aufgrund des gesetzlich vorgeschriebenen Datenschutzes leider geschreddert worden...), eines Sumpfes, in dem staatliche Verantwortungsträger offenbar als logistische BASIS extremistischer Gruppierungen ("state sponsored terror base"), oder sogar als Teil eines Netzwerkes in Erscheinung getreten sind (vgl. den Mordanschlag im Kasseler Internetcafe!), wird nicht ohne öffentlichen Druck gelingen können!

     

    Der Hessische Innenminister wertete (Berichte in den hiesigen Medien!) das Begehren von Bundesanwälten, die zwecks "Akteneinsichtnahme beim Hessischen Verfassungsschutz" (!) in Wiesbaden waren, unverhohlen als "feindseligen Akt"!

    So etwas nennt man ein "politisches Ausrufezeichen" setzen!

    Ist es ein Wunder, wenn das "öffentliche TRAUERN im Bundestag" MIT politischem AUFKLÄRUNGSWILLEN VERWECHSELT wird?

    .

     

    2. Was heisst "Aufarbeiten" krimineller Strukturen...?

     

    "Aufarbeiten" bedeutet nicht, eine weitere ritualisierte Gedenkstunde im Bundestag zu zelebrieren und den Angehörigen der Mordopfer eine politisch motivierte "Entschädigung" ("SCHWEIGEGELDER"!) zu zahlen.

     

    "Aufarbeiten" bedeutet, eine POLITISCH UNABHÄNGIGE UNTERSUCHUNGSKOMMISSION einzuberufen, die auch alle Aspekte staatlicher Involvierung (Beteiligung, gleich welcher Art) bei diesen Gewaltverbrechen aufdecken müsste; frei von dienstrechtlichen, regierungsamtlichen Weisungen, oder Einflüsterungen und "Ratschlägen" im Namen einer vorgeschobenen Staatsräson.

     

    Es reicht nicht, dem Parlament NUR einfühlsam für die "politisch korrekten Worte der Anteilnahme" zu danken, oder auf die nächsten "Demonstrationen gegen Rechts" zu warten -mit vorhersehbaren "Flurschäden" für Demokratie, Datenschutz und Aufklärung.

    Nicht nur die "TAZ", sondern auch ANDERE STIMMEN wären m.E. gut beraten, JETZT unabdingbare Konsequenzen einzufordern!

    .

     

    3. @Lieber AMBROS WAIBEL,

     

    Zu ihrem Zitat:

    ..."Das schreckliche Versagen von Politik, Polizei und Diensten erinnert fatal an die Spiele von München 1972..."

     

    (...ich finde:) Ein unpassender Vergleich.

    Denn noch ist nicht hinreichend untersucht und aufgeklärt, ob das langjährige Untertauchen der rechtsextremen Straftäter nur auf "Versagen" oder "Pannen" zurückzuführen ist, oder ob man die Täter vor Strafverfolgung geschützt hat!

     

    Worum geht es eigentlich? Aus der "Unprofessionalität" handelnder Personen (wie in München 1972) lässt sich keine absichtliche TÄTERBEGÜNSTIGUNG ableiten.

    Bei der unsäglichen "Kooperation" zwischen Mitgliedern der NSU und Verfassungsschützern verschiedener Ämter ist nicht nachvollziehbar, warum die vorliegenden HAFTBEFEHLE nicht vollzogen werden sollten!

     

    1972 stand der Staat auf der Seite der Terrorismusopfer; 2011 muss er sich -zumindestens der "Verfassungsschutz"- des Vorwurfs erwehren, er unterstütze seit vielen Jahren ein breit angelegtes Terrornetzwerk.

    Der "VERFASSUNGSSCHUTZ" war 1972 in München nicht mit "von der Partie", ebenso wenig wie rechtsextremistische Gewalttäter.

    Deswegen trägt dieser m.E. unpassende Vergleich nichts zur Aufarbeitung des -im wahrsten Sinne des Wortes- "hausgemachten" Extremismus bei.

    .

    4. Zwischenfazit:

     

    "Trauermienen" im Bundestag machen niemanden lebendig! Und es gibt eben NOCH KEIN "STARKES POLITISCHES SIGNAL" von Seiten der Politik! Hat jemand die Absicht, Strukturen anzutasten, oder zu "riskieren", die scheinbar die "Machtbalance" garantieren?

    In "Wiesbaden" wird gemauert! Terror hin, oder Terror her.

    Trotzdem kann es ein "Weiter so" eigentlich nicht mehr geben!

     

    Der VERFASSUNGSSCHUTZ SOLLTE mit gutem Beispiel voran gehen und dem Bundestag FREIWILLIG seine uneingeschränkte ZUSAMMENARBEIT (schrankenlose Akteneinsicht für eine Untersuchungskommission) ANBIETEN!

    WARUM tut er es dann NICHT?

     

    WARUM macht z. B. die "Taz" NICHT ein Interview mit Herrn Fromm (VS-Präsident), oder mit Herrn Lammert, um deren AUFKLÄRUNGSWILLEN zu HINTERFRAGEN?

    Gibt es ein besseres Mittel, das angeknackste Vertrauen der Bürger in seine staatlichen "Obmänner" wieder herzustellen?

     

    Das "Vertrauen der Bürger wieder herstellen"... Wie das geht?

    Um Verzeihung bitten?

    .

    HESSE

    .

  • U
    Uli

    Werden zwei Flugzeuge in zwei Wolkenkratzer gesteuer, wobei über 3000 Menschen sterben, so wird bei uns gesagt, man darf nichts verallgemeinern, man muß zwischen Islam und Islamismus unterscheiden. Wenn in Somalia sogenannte Islamisten mit Macheten "Ungläubige" enthaupten, dann redet man am besten hier in Deutschland gleich gar nicht darüber. Wenn in der Türkei deutsche Jugendliche mehr oder weniger vorsätzlich durch Panschalkohol getötet werden, dann ist das etwas, was wohl halt vorkommen kann. Wenn hier in Deutschland sogenannte Südländer Mord- und Totschlagtaten ausführen, dann sind das normale Verbrechen.

     

    Wenn aber drei Nazis Morde ausführen, dann wird die Republik erschüttert und das Volk angeklagt. Unfaßbar!

  • K
    Kranna

    Wurde von denen im Bundestag auch der Polizistin Kiesewetter gedacht und bekommen deren Eltern nun auch Entschädigung? Oder gelten für sie als Deutsche andere Regeln?

  • M
    mai

    Wenn Verfassungsschutz-V-Männer in großer Zahl in Führungspositionen der NPD und rechter Kleingruppen sind, geben diese ja offensichtlich (mit) den Ton und damit die Richtung vor. Weitergedacht heisst dies, der Verfassungsschutz führt diese Gruppen.Was wiederum heisst, dass der Verfasungsschutz verfassungsfeindliche Bestrebungen in diesen Gruppen erst erzeugt, anschiebt, umsetzt. Das heisst, der Verfassungsschutz ist Verfassungsfeindlich.

  • E
    eurosu25

    Die Entschuldigung des Bundestages ist das richige

    Zeichen. Zu wünschen ist eine ähnliche Geste von der

    breiten deutschen Medienfront, die vor einem Jahr

    den deutschen Herbst gegen den Islam zelebrierte und

    dann nicht schnell genug wieder zur Tagesordnung

    übergehen konnte, als sich herrausstellte, daß der

    norwegische Massenmörder vom 22.7. kein Moslem war.