Kommentar „Spiegel“-Chefredakteur: Kündigung verschoben
Die „Spiegel“-Gesellschafter unterstützen Wolfgang Büchners Konzept, das Print und Online miteinander verzahnen soll. Sein Stuhl wackelt trotzdem.
D amit hatte kaum jemand gerechnet: Das Konzept „Spiegel 3.0“ kommt, Büchner ist als Chefredakteur erst einmal gerettet. „In enger Zusammenarbeit mit den Redaktionen des Spiegel und Spiegel Online“, so schreiben es die Gesellschafter in einer gemeinsamen Erklärung, sollen Chefredaktion und Geschäftsführung nun die Pläne zur Verzahnung von Print und Online umsetzen. Dafür sollen alle Ressortleiterposten neu ausgeschrieben werden. Künftig würden Ressortleiter – anders als bisher – sowohl für das gedruckte Heft als auch für den Online-Auftritt zuständig sein.
Gelöst ist damit allerdings überhaupt nichts. Die Erklärung der Gesellschafter liest sich wie ein: „Zurück auf Los, versucht es noch einmal neu.“ Nachdem Büchner und Geschäftsführer Ove Saffe die Pläne am Dienstag der mächtigen Mitarbeiter KG vorgestellt hatten, die die Mitarbeiter des gedruckten Spiegel vertritt und 50,5 Prozent am Spiegel hält, gab es heftige Proteste vor allem unter den Printredakteuren.
Mehr als 80 Prozent der Redakteure haben bis Freitagnachmittag eine Petition gegen die Pläne Büchners unterschrieben. Selten gab es so offenen, organisierten Widerstand gegen einen Chefredakteur in einem deutschen Medienhaus. Für diese 80 Prozent ist die Entscheidung der Gesellschafter ein Schlag ins Gesicht.
Dabei dürfte auch ihnen klar sein, dass Print und Online stärker zusammen wachsen müssen. Auch der Spiegel muss auf Auflagenrückgänge und die Veränderungen im Journalismus reagieren – Büchners Pläne sind da ein guter, erster Ansatz. Doch der Protest der Printredakteure richtet sich primär nicht gegen Büchners Pläne, sondern gegen seine Person. Seit seinem Antritt als Chefredakteur vor gut einem Jahr wächst die Unzufriedenheit mit seinem Führungsstil. Die einen meinen, er mache einen schlechten Job, die anderen sehen in ihm ein politisches Vakuum.
Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass Chefredakteure gegen Widerstand in ihrem Haus kämpfen. Ungewöhnlich ist die Dimension: Mit mehr als 80 Prozent erklärten Gegnern wird Büchner schwer arbeiten können. Sie werden seine Ideen blockieren, wo es nur geht. Von einer „gemeinsamen Erarbeitung“ des neuen Konzepts, wie sie den Gesellschaftern vorschwebt, kann dann wohl keine Rede sein. Unter diesen Bedingungen wird Büchner nicht mehr lang bleiben. Offen ist nur, wer die Kündigung ausspricht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links