Kommentar Späte Ruhe: Die zweite Bestattung Victor Jaras

Der unter Pinochet ermordete Sänger Víctor Jara wird zum zweiten Mal beigesetzt.

"Pinochet ist tot. Es lebe Chile!" heißt es auf einer ockerfarbenen Häuserwand in Santiago. Das Graffito stammt vom Dezember 2006, als der greise Tyrann zu Hause starb – und es ist wieder hochaktuell: Mit der zweiten Beerdigung von Sängerlegende Víctor Jara haben die ChilenInnen, darunter viele junge, ein eindrucksvolles Signal zur weiteren Aufarbeitung des Militärregimes (1973-1990) gegeben.

Langsamer als in Argentinien, aber rascher als etwa in Brasilien werden die Schergen der Diktatur in Chile zur Verantwortung gezogen – stets gegen den heftigen Widerstand der wiedererstarkten Rechten. In Santiago etwa versuchte die konservative Stadtverwaltung nach Kräften, das Andenken an Víctor Jara klein zu halten.

Wie kaum ein zweiter symbolisiert der Poet und Musiker den Traum der lateinamerikanischen Linken von einem demokratischen Sozialismus, der in den Nullerjahren neue Formen annimmt: In Uruguay beispielsweise feiert eine neue, alte Sozialdemokratie fröhliche Urständ, wie sie in Europa in weiter Ferne scheint. Eine pragmatische Wirtschaftspolitik geht dort mit der dezidierten Stärkung des Sozialstaates einher, ähnlich wie in Brasilien.

In Bolivien, Ecuador und Venezuela sitzen Staatschefs fest im Sattel, die es ernst meinen mit der Umverteilung des Reichtums von oben nach unten. Ihren Kollegen in Paraguay und Argentinien weht mehr Gegenwind ins Gesicht.

In Chile ist es noch völlig offen, ob es demnächst zu einer Neuauflage des Mitte-Links-Bündnisses Concertación kommt, das nach 20 Jahren ausgelaugt wirkt. Denkbar ist aber auch ein Comeback der Rechten einschließlich ewiggestriger Pinochet-Fans oder eine Neusortierung des fortschrittlichen Spektrums. Die Würfel fallen bei der Stichwahl im Januar. Die Lähmung der neoliberal durchwirkten Gesellschaft, eine der Spätfolgen des Terror, lässt jedenfalls nach – das ist die wichtigste Botschaft aus Santiago.

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