piwik no script img

Kommentar Sorgerecht in EuropaNicht ohne meine Kinder

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Wenn sich binationale Paare trennen, lassen Elternteile mitunter ihre eigenen Kinder entführen. Es wird Zeit, dass die europäischen Behörden kooperieren.

W er hat welches Recht an den Kindern, wenn die Eltern sich trennen? Das sehen Mütter und Väter mitunter recht unterschiedlich, so dass Gerichte entscheiden müssen. Was aber, wenn die getrennten Eltern ein sogenanntes binationales Paar sind, also aus verschiedenen Ländern kommen?

Häufig wollen Mütter und Väter nach einer Trennung zurück in ihr Heimatland – zusammen mit ihren Kindern. Der zurückbleibende Elternteil will die Kinder aber auch in seiner Nähe haben. Das ist der Stoff, aus dem Entführungsdramen gestrickt sind. So wie im Fall des Ex-Ehepaars Marinella Colombo und Tobias Ritter.

Nach der Scheidung in Deutschland, wo das Paar mit den gemeinsamen Kindern gelebt hat, bekamen beide Eltern das gemeinsame Sorgerecht. So ist das üblich in Deutschland, so erleben das auch deutsch-deutsche Trennungspaare. Marinella Colombo aber akzeptierte das nicht und beantragte das alleinige Sorgerecht.

privat
SIMONE SCHMOLLACK

ist Redakteurin im Inlands-Ressort der taz.

Das zuständige Amtsgericht wies den Antrag mit dem Hinweis auf die „Aufrechterhaltung der Vater-Kind-Beziehung“ ab, worauf die Mutter die Kinder zweimal in ihre Heimat Italien entführen ließ. Der Fall beschäftigte mehrere deutsche und italienische Gerichte, der Petitionsausschuss des Europaparlaments war damit befasst, aktuell ist eine Klage der Mutter beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

Trennungsbedingte Kindesentführungen oder die Weigerung eines Elternteils, dem anderen Umgang mit den Kinder zu gewähren, gibt es auch hierzulande. Das ist keine Frage der nationalen Herkunft, sondern eine von Verantwortungsbewusstsein. In ganz Europa sind die Entführer aber natürlich noch schwerer aufzuspüren. Schätzungen zufolge werden jährlich mehrere Hundert Mädchen und Jungen von einem Elternteil ins Ausland verschleppt. Mitunter mit fatalen Folgen für die Kinder: Sie gehen nicht zur Schule, weil sie versteckt gehalten werden, sie haben kaum Kontakt zur Außenwelt, sie sind der Willkür des elterlichen Entführers ausgesetzt.

Den Behörden – egal ob in Italien, Deutschland, Malta oder Schweden – sollte es in erster Linie ums Kindeswohl gehen. Was das konkret heißt, wird von Land zu Land mitunter unterschiedlich gesehen. So erfährt Marinella Colombo in Italien, wo der Fall genau verfolgt wird, große Unterstützung von Menschen, die in deutschen Jugendämtern Himmler-Behörden sehen und von einer „Germanisierung der Kinder“ reden.

Ein Verband europäischer Eltern, der die deutsche Sorgerechts- und Umgangspraxis anprangert, wirft den deutschen Ämtern sogar vor, sie würden nichtdeutsche Elternteile benachteiligen. Beim Petitionsausschuss des Europaparlaments liegen 120 solcher Beschwerden vor.

Manche Länder halten sich aus Familienstreitigkeiten, die zwar im eigenen Land stattfinden, aber bei denen die Betroffenen eine andere Staatsbürgerschaft haben, schlicht heraus, gern nach dem Motto: Geht uns nichts an, das sollen die mal schön nach ihren eigenen Regeln klären. Unabhängig davon haben europäische Behörden bereits mehrfach Umgangs- und Sorgerechtsregelungen in Deutschland kritisiert, deutsche Behörden müssen ihre Rechtspraxis ändern. Es ist an der Zeit, das auf europäischer Ebene auszudehnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • H
    Horsti

    Es gibt doch das HKÜ, welches sozusagen eine Art Interpol für Kindesentführungen darstellt.

    Es wurde damals mit strengen Regeln eingeführt, weil manfürchtete daß viele Väter ihre Kinder entführen.

    Dumm gelaufen, denn in der Praxis sind Mütter viel häufiger Kindesentführer als Väter.

     

    Nebenbei: Warum es eine Entführung darstellt, wenn ein Elternteil mit dem Kind von Flensburg nach Appenrade (DK) zieht, aber Mütter mit alleinigem Sorgerecht völlig legal von Flensburg nach Oberammergau ziehen können, hätte ich gerne mal erklärt bekommen.

  • P
    Pia

    Marinella ist der umgekehrte Fall zu meinem:

    www.nichtohnemeinekinder.com

     

    ich habe bis heute nicht mal ein Umgangsrecht!

    Es werden jetzt 4 Jahre die ich meine Kinder an die Italiener abgeben musste.

    Man kann nicht das Jugendamt oder die Behörden verantwortlich machen.

    Die bestimmt einen großen Teil dazu beitragen.

    Doch kommt es immer auf die "nicht gute" Energie des Expartners an.

    Leider habe ich durch meine Internet Seite viele Mütter getroffen, die in der gleichen Situation sind. Und immer war des der Ex-Partner der die Kinder

    entfremdet. Also wenn es mehr Mediatoren geben würde, die für bezahlbares Geld arbeiten würden, Stellen oder sogar Behörden wo binationale Ehepartner bei Trennung Hilfe bekommen würden, wäre so manchen Kindern dieser ganze Schmerz erspart geblieben ohne Vater oder sogar ohne Mutter aufzuwachsen!

  • C
    Comment

    6000 Regenbogenfamilien und einige Hundert Kinder sind Themen die Simone Schmollack eher erreichen, als die Abertausende Kinder, die quer durch die Republik gezerrt werden, damit die `ihre Peiniger nicht mehr ertragen müssen´. So setzt sich Jede/r ganz eigene Prioritäten, oder lenkt von dringlicheren Anliegen ab.

     

    Aufgefallen ist mir in diesem Artikel der Begriff "Verantwortungsbewusstsein". Juristen verwenden in Umgangssachen ein anderes Wort: Bindungstoleranz.

    Meist mangelt es an dieser, beim überwiegend erfolgreich und abschließend mit alleiniger elterlicher Sorge preisgekrönten verschleppenden Elternteil.

    Bezüglich Fürsorge und Übernahme von Verantwortung finden sich dann regelmäßig lobende Worte im letzten Beschluss, der zur Umgangsaussetzung führt. Prima Elternteile also, diese Kindesentführer (über nationale Grenzen hinweg, oder auch nicht).

  • J
    Jörn

    Die Situation ist nicht so ungeregelt wie der Artikel vermuten lässt. Es gibt das Haager Rückführungsübereinkommen, welches alle europäischen Staaten unterzeichnet haben. Es sieht vor, dass entführte Kinder generell zurückgegeben werden und nicht im neuen Aufenthaltsstaat ein ggf. anders lautendes Aufenthaltsbestimmungsrecht ausgenutzt wird. Dies würde nämlich dazu führen, dass der andere Elternteil dann ebenfalls eine Rückentführung versuchen würde um die Kinder in den Staat zu bringen, welches ihm das Sorgrecht zugesprochen hat.

    Leider war Deutschland bis vor kurzem einer der Staaten, welches dieses Übereinkommen fast vollständig ignoriert hatte - zumindest dann wenn es um die Entführung von Kindern durch deutsche Mütter handelte. Dies ist in Deutschland inzwischen langsam im Wandel - die meisten europäischen Staaten sind dort jedoch schon bereits deutlich weiter - Italien scheint da jedoch nicht dazu zu gehören.

    Es würde schon reichen, wenn das geltende Recht angewandt wird - dies ist allerdings im Familienrecht in weiten Teilen auch in Deutschland nicht der Fall.