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Kommentar SinaiDas Somalia Ägyptens

Karim El-Gawhary
Kommentar von Karim El-Gawhary

Der ägyptische Staat hat bislang keinen Cent in die Infrastruktur im Norden der Halbinsel investiert. Und so ein Paradies für Islamisten geschaffen.

Israelische Patrouille an der Grenze zum Sinai. Bild: reuters

D er Norden des Sinai entwickelt sich immer mehr zu einer Art ägyptischem Failed State. Kriminelle, Schmuggler und militante Gotteskrieger haben die Regie übernommen. Die ägyptischen Medien stellen das gerne als eine Erbschaft des Muslimbruders und Expräsidenten Mursi dar. Doch die Zeitbombe dort begann schon zu Mubaraks Zeiten zu ticken. Der ließ Tausende Beduinen ohne Anklage einfach wegsperren. Und auch heute schicken die Generäle Soldaten, die erst schießen und dann fragen.

Das Grundübel: Die Beduinen erfahren den ägyptischen Staat ausschließlich als Polizeistaat. Nachdem Israel die Halbinsel 1982 an Ägypten zurückgegeben hatte, wurde im Norden kein Cent in die Infrastruktur investiert.

Anstatt Schulen, Krankenhäuser und Wasserleitungen für die Landwirtschaft zu bauen und die wunderschöne Küste für Tourismus zu entwickeln, hat Kairo die Polizeistationen als kleine Festungen ausgebaut. Arbeit gibt es keine.

Wer nicht mit Schmuggel von Waffen, Drogen, Menschen oder deren Organen sein Geld verdient oder sich nicht einer der militanten islamistischen Gruppen anschließen will, dem bleibt nur die bittere Armut. Entsprechend erinnert so manche Beduinensiedlung in ihrer Tristesse an amerikanische Indianerreservate. Mit dem Unterschied, dass die Einwohner dort keine Opfer von übermäßigem Alkoholkonsum, sondern von militanten Al-Qaida-Leuten werden.

Am Suezkanal erwartet den Reisenden dann kurioserweise ein „Willkommen in Ägypten“-Schild. Die wenigen Reisenden, die es bis dorthin geschafft haben, dürften sich nicht selten fragen: Welches Land habe ich eigentlich durchquert?

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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2 Kommentare

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  • Die Beduinen denken heute mit einer gewissen Nostalgie an die Israelis zurück. Die ungeliebten Besatzer haben in ihren 15 Jahren mehr aufgebaut, als die Ägypter in den 31 Jahren seither.

  • HV
    heiliger Vater

    ...ein Paradies, mit allem drum und dran?