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Kommentar Sieg der Ukraine beim ESCSpiegel europäischer Befindlichkeiten

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die ESC-Siegerin hat die europäische Nervosität zum Ausdruck gebracht: Rechtspopulismus, autokratische Gesinnungen und Nationalismen.

Politischer denn je: Fahnen vor dem ESC in Stockholm Foto: reuters

D er letzte Satz von Jamala als Siegerin beim Eurovision Song Contest war sprechend für diese Show: Danke, Europa. Sie muss damit auch Russland gemeint haben, denn bei der Zuschauerabstimmung hat sie ja auch die zweitmeisten Stimmen aus Russland bekommen.

So oder so: Es war ein Triumph einer besonderen Performance. Jamala gewann mit einer ästhetisch perfekt dargebotenen Erzählung namens „1944“. Sie handelt von der eigenen Familiengeschichte, der stalinistischen Vertreibung der Krimtataren vor 72 Jahren in den Hungertod, nach Vorderasien, vom Holocaust, von der Verfolgung muslimischer Bürger_innen. Und sie spricht insofern auch vom Heute, von der russischen Okkupation der Krim vor zwei Jahren.

Russische Medien mögen klagen, dass ihr Kandidat, der sympathische Sergej Lazarev das Nachsehen hatte. Ein dritter Platz ist freilich auch schön, besser als der letzte für die ARD-Kandidatin Jamie-Lee. Dieser ESC war insofern ein besonders scharf aufgestellter Spiegel europäischer Befindlichkeiten: Wichtige, aber doch Allerweltsthemen wie Liebe und Schönheit hatten sich mit schlechten Rängen am Ende zu bescheiden.

Der ESC hat, zwei Jahre nach dem Triumph Conchita Wursts, die nächste Heldin hervorgebracht. Jamala, famose Sängerin, hat die europäische Nervosität – Rechtspopulismus, autokratische Gesinnungen, Nationalismen – zum Ausdruck zu bringen vermocht. Der ESC im kommenden Jahr in der Ukraine wird diese politischen Unbehaglichkeiten mehr denn je thematisieren – wollen. Russland möge kommen: Europa hat nichts gegen friedliche Kulturangebote.

Im Übrigen möge die stärkste politische Integrationsleistung demokratisch-kultureller Art des ESC nicht übersehen bleiben: dass Deutschland von 1956 an mitmachen durfte. Elf Jahre nach dem Nationalsozialismus, nach dem Holocaust, nach der Wehrmacht. Jamalas Lied macht möglich, diese alten Geschichte wieder aus dem Vergessen zu holen.

Jan Feddersen, Autor von Büchern zum ESC, schreibt regelmäßig für die Eurovision-Webseite des NDR.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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2 Kommentare

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  • Was Herr Feddersen genau wie Jamala völlig verschweigt, ist die Kollaboration großer Teile der Krimtataren mit den Nazis während der deutschen Besatzung 1941 - 44, die hunderttausenden Juden, Kommunisten und anderen Menschen das Leben kostete. In diesem Sinne ist der Song wohl selbst als Teil der aktuellen nationalistisch-revisionistisch-rechtspopulistischen Strömungen anzusehen.

  • "Jan Feddersen, Autor von Büchern zum ESC, schreibt regelmäßig für die Eurovision-Webseite des NDR.". So isses. Und lässt sich vom ESC-Veranstalter dafür bezahlen. Und belästigt seit Jahren einmal im Jahr über Wochen in der TAZ die geneigte Leserschaft mit Promo-Artikeln, einfühlsamen Interviews mit den Zero-Points-Kandidaten aus Deutschland, lächerlichen Auslassungen über das "größte universale queere Familientreffen" und unterirdischem Hochjubeln der musikalischen Qualität eines wesentlich algorhythmus-produzierten Pathospops.

    Langsam sollte sich die TAZ-Redaktion mal fragen, ob ein vom NDR bezahlter "journalistischer Begleiter" dieses Events die Seiten der TAZ jedes Jahr für seine privaten (?) Vorlieben in Anspruch nehmen darf. Hat die TAZ kein Redaktionsstatut, dass eine solche Vermischung von Journalismus und bezahlter Promo verbietet?