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Kommentar SchwulenverfolgungDie Furcht ist noch da

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die Rede des Bundespräsidenten zur Verfolgung Homosexueller während und nach der NS-Zeit ist richtig. Doch seine Aussagen greifen zu kurz.

Während seiner Ansprache zum Festakt in Berlin: Frank-Walter Steinmeier Foto: dpa

N ichts war falsch an dieser symbolisch zutreffenden Rede. Und doch hätte sie mehr aussagen können, ja sogar müssen. Dass es besonders die beiden christlichen Amtskirchen waren, die erklärtermaßen den von den Nazis wesentlich verschärften Paragrafen 175 im bundesdeutschen Recht bewahrt sehen wollten, weil sie die Tyrannei wider alles nicht ins heterosexuelle Mann-Frau-Kind(er)-Schema gut fanden – geschenkt. Wäre historisch triftig gewesen, aber ein Bundespräsident disst keine Religion, eine christliche sowieso nicht.

Was er aber hätte erwähnen müssen, wäre, dass der Paragraf 175 konkret Zehntausende an Opfern forderte, aber insgesamt als Strafandrohung gegen alle wirkte und wirken sollte: Alle lernten, dass Schwules ein minderer Dreck ist, nicht liebenswert und entwertet gehört.

Die Rede

Der Festakt: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat für das Unrecht an Homosexuellen auch in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik um Vergebung gebeten. Bei einem Festakt in Berlin zum 10. Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen sagte Steinmeier am Sonntag, zum Gedenken an die Verfolgung von Homosexuellen müsse auch die Zeit nach 1945 gehören.

Die Worte: „Deshalb bitte ich heute um Vergebung – für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte.“ In seiner Rede verurteilte der Bundespräsident zudem eine Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten in Deutschland scharf. „Wer heute den einzigartigen Bruch mit der Zivilisation leugnet, kleinredet oder relativiert, der verhöhnt nicht nur die Millionen Opfer, sondern der will ganz bewusst alte Wunden aufreißen und sät neuen Hass, und dem müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen“, sagte er. (dpa)

Der Terror traf viele und zerstörte sie – seine einschüchternden Folgen senkten sich in alle Familien und ihre Mitglieder: Sei keine Schwuchtel – sonst bis du für uns aussätzig.

Es ist daher ein wenig phrasenhaft, wenn Bundespräsident Steinmeier betont, auch nach dem Ende des Nationalsozialismus sei Homosexuellen in Deutschland Unrecht zugefügt worden – in der DDR und in der BDR. In der Bundesrepublik seien mehr als 20 Jahre lang zehntausende Männer auf Grundlage des Paragrafen 175, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte, „verhaftet, verurteilt und eingesperrt“ worden, so der Bundespräsident. Heute dagegen stünden sexuelle Orientierung und sexuelle Identität aller Schwulen, Lesben und Bisexuellen, aller Queers, Trans- und Intersexuellen „selbstverständlich unter dem Schutz unseres Staates“, so der Präsident weiter.

Steinmeier sagte damit eigentlich nur, was man von ihm erwarten durfte. Woran liegt es sonst, wenn nicht an den homophob vergifteten Verhältnissen in deutschen Familien seit Jahrzehnten, dass sich erst wenige Opfer des Paragrafen 175 entschlossen, das seit einem Jahr geltende Rehabilitations- und Entschädigungsgesetz in Anspruch zu nehmen? Die Furcht ist noch da, Teil (nicht allein) eines deutschen Traumas in Familien.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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5 Kommentare

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  • Dass die Nazis da schlimme Schwulenverfolger waren, wie leider heute auch noch viele islamische und auch nicht-islamische Staaten ist sicher richtig. Aber die Verfolgung von Schwulen (nein nicht von Homosexuellen insgesamt, denn Lesben wurden nicht verfolgt - sie wurden nicht ernst genommen) war kein Relikt des Dritten Reichs. Es war durch die Bank von Kirchen über Parteien bis hin zum Bundesverfassungsgericht ein Wille aller Institutionen der Bundesrepublik. Sich hier auf das zu langsame Aufräumen des Nazierbes herauszureden verdeckt die moralische Schuld der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Die Schuld gerade der Sittenwächter, auf die wir immer so stolz sind. Einem Bundesverfassungsgericht, welches wir über alle demokratische Prinzipien setzen, unsere Wissenschaft, welche schlimmste Gutachten geliefert hat und die Parteien, die sich moralisch nicht nur im Recht sondern sogar in der Pflicht sahen.

    Bei aller moralischen Überheblichkeit über die eigene Vergangenheit müssen wir sehen, dass gerade diese Überheblichkeit auch die Schwulenverfolgung gerechtfertigt, getragen und sogar gefordert hat.

    So aber schiebt Steinmeier die Schuld zu sehr in die Vergangenheit. Wer aber die Schuld nicht in dem System sieht, was unverändert weiter moralisch überheblich ist, ist verdammt die Geschichte zu wiederholen. Sicher nicht mit der Gruppe der Homosexuellen - die Opfergruppen wechseln - unser Problem jedoch nicht.

    • 9G
      98999 (Profil gelöscht)
      @Velofisch:

      Ja, die christliche Leitkultur hat schon einiges auf dem Kerbholz und zeigt sich noch immer nicht einsichtig, sondern macht munter weiter im grausamen Spiel mit dem hegemonialen Anspruch der katholischen, gleich allumfassenden Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen im längst multikulturellen Land. Da muss gar nicht bis nach Bayern zum Kreuzzug in Amtsstuben geschaut werden, es reicht der Blick auf nach wie vor unzureichende Rechte von Frauen, Kindern, Tieren und der geschundenen Natur, für deren Ausbeutung bis heute der Bibelspruch herhalten muss, man solle sie sich untertan machen.

       

      Bei Wikipedia ist nachzulesen, dass Homosexualität schon seit dem 16. Jahrhundert gesetzlich verfolgt wurde, das Reich Deutscher Nation war also gar nicht so heilig, wie es sich nannte und so mancher Patriot es gerne hätte: https://de.wikipedia.org/wiki/%C2%A7_175

      • 9G
        98999 (Profil gelöscht)
        @98999 (Profil gelöscht):

        Unzählige Frauen, die nicht selbst über ihren Körper bestimmen durften (in Irland wurde diesertage -anno domini 2018! - das Abtreibungsverbot gelockert), von einer schwarzen Moral verkrüppelte, misshandelte Kinder, Millionen gemordeter Tiere, die sich die Krone der Schöpfung von Gottes Gnaden einverleibte, hat diese Kultur auf dem Gewissen und bereut noch immer nicht, tut Buße und bessert sich, sondern zeigt noch überheblich mit dem Finger auf andere Kulturen, statt sich damit an die eigene Nase zu fassen. Sapere aude!

  • Das Nachkriegsdeutschland war ohnehin nicht vorbildlich in Sachen Gleichbehandlung von Homosexuellen. Im europäischen Maßstab hinkte die BRD sogar bis 2017 hinterher was z.B. die Ehe für Schwule und Lesben anging. Mit seiner braunen Vergangenheit, die auch vielen Schwulen das Leben kostete, hätte die BRD in Sachen Gleichberechtigung Vorreiter sein müssen.

    • 9G
      98589 (Profil gelöscht)
      @Nicky Arnstein:

      Ja, hätten sie.

      Wie sollte das aber funktionieren mit den ganzen Altnazis in der Regierung und im politischen Umfeld?

      Von dem Einfluss der Katholen ganz zu schweigen.