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Kommentar Schweriner StaatstheaterTheater lebt von Demokratie

Kommentar von Benno Schirrmeister

Intendant Lars Tietje hat seinen Mitarbeiter*innen einen Maulkorb verhängt. Er vergisst: Sein Haus war zu DDR-Zeiten ein wichtiger Ort demokratischer Opposition.

Gerade im Theater brauchen die Akteure einen Arsch in der Hose Foto: dpa

T heater ist nicht eine, sondern die bürgerliche Kunstform: Es lebt von Demokratie und belebt sie. Hier hat die Bevölkerung seit dem 18. Jahrhundert gelernt, wie man sich über aktuelle Vorfälle austauscht, wie man sich eine Meinung bildet, und – wie man gegen Zensoren Gedankenfreiheit fordert. Diese hat Lars Tietje, Intendant des mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin beschnitten.

Genauer: Er hat seinen Mitarbeiter*innen einen Maulkorb verhängt. Wenn die sich beim Theaterball trotz ihrer Funktion als Darsteller*innen oder Moderator*innen wie mündige Bürger*innen geriert und politisch geäußert hätten, wäre das aus Tietjes Sicht ein Missbrauch ihrer Funktion gewesen: „Künstler haben ein Interpretationsrecht, aber kein Autorenrecht“, sagt er.

Doch diese autoritäre Weltsicht ist nicht nur ästhetisch hoffnungslos veraltet. Sie ist auch erschreckend geschichtsvergessen. Denn gerade Schwerins Staatstheater war nicht nur von 1919 bis 1933 Sitz des Landtags. Es war auch im stark atheistischen Mecklenburg der mit Abstand wichtigste Ort demokratischer Opposition: Intendant Christoph Schroths SED-kritische Faust-Inszenierung von 1979, die den eisernen Vorhang skandalisierte, hat deutsche Bühnen- und Politikgeschichte geschrieben. Sie war die meistbesuchte Theateraufführung der DDR – zu erfolgreich um beseitigt zu werden.

Durchgegriffen wurde indes auch damals gegen einzelne kritische Künstler*innen. So wurde Bärbel Röhl wegen politischer Äußerungen auf der Bühne aus der Partei ausgeschlossen. Ihre Filmkarriere erhielt einen Dämpfer. Der Intendant stand zu ihr.

Vielleicht weiß Tietje das alles nicht. Das ist aber egal, denn seine Haltung, und das allein zählt, knüpft eher an das Denken der SED-Bezirksleitung an, auch wenn die mittlerweile durch Nestlé ersetzt wurde. Dass Tietje Stadt und Land für seine antidemokratische Haltung in Geiselhaft nimmt, sollte die Träger davon überzeugen: So jemand taugt als Intendant nur einer Sprechpuppenbühne.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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1 Kommentar

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  • Zitat: „Künstler haben ein Interpretationsrecht, aber kein Autorenrecht“.

     

    Wie bitte? Bloß gut, dass Hermann Hesse, Nelly Sachs, Heinrich Böll, Günter Gras und Herta Müller das nicht gewusst haben – bzw. die diversen Literatur-Nobelpreis-Jurys anderer Ansicht waren! Wie stünden wir Deutschen sonst da dank Lars Tietje? Bis auf die Knochen blamiert vor aller Welt.

     

    Aber vielleicht ahnt ja Tietje nicht einmal das vor lauter Angst vor irgendwelchen Konsequenzen. Und wenn, scheint ihn es nicht zu interessieren. Es ist ihm offenbar genau so egal, wie es ihm schnuppe ist, dass er mit seiner Haltung nahtlos anknüpft an das Denken einer x-beliebigen SED-Bezirksleitung – oder halt an das Denken von Nestlé-“Demokraten“.

     

    Nein, werter Herr Schirrmeister, so jemand wie Lars Tietje taugt nicht als Intendant einer Sprechpuppenbühne. Schließlich ist auch das Spiel mit Sprechpuppen eine Kunst. Und Kunst muss frei sein, wenn sie eine sein will. Was wären Sprechpuppen, die sich auf die Zunge beißen müssen? Jemand wie Lars Tietje taugt allenfalls als Kommandant einer militärischen Einheit, die in einen (Marktanteil-)Eroberungs-Feldzug ziehen will. Und selbst dann noch müsste er beim Kommandieren eine Pickelhaube aufsetzen.