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Kommentar Schwarz-gelbe KoalitionInhalt schlägt Polemik

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Es reicht nicht aus, wolkige Regierungsmissetaten und soziale Aufstände vorherzusagen. Fundierte Kritik an Entscheidungen der schwarz-gelben Koalition muss her - genug Stoff dafür wird es geben.

E ines ist schon jetzt klar: Was Union und FDP ab heute in den Koalitionsgesprächen verhandeln, wird im Ergebnis wohl keine brachiale Kahlschlagpolitik sein, die von links leicht zu kritisieren wäre. Sondern eher ein sorgfältig austariertes Verschieben von Be- und Entlastungen zugunsten von Besserverdienenden - etwa in der Steuerpolitik. An anderer Stelle werden die Koalitionäre dies durch Nichtstun ergänzen - etwa bei den Mindestlöhnen. Deshalb darf die Opposition gegen Schwarz-Gelb nicht auf Polemik setzen. Sie muss intelligent und detailversessen kritisieren, und zwar sowohl im Parlament als auch in der Zivilgesellschaft.

Wenn nun mancher Gewerkschafter mit Blick auf Verteilungskämpfe auf eine breite, zivilgesellschaftliche Revolte hofft, auf Massendemonstrationen, die sich gegen die Regierung richten, dann ist das eine antiquierte Vorstellung. Der spontane Massenaufstand gegen Schwarz-Gelb wird natürlich nicht stattfinden. Die Linke täte gut daran, solche Denkmuster einzumotten - und sich inhaltlich zu munitionieren.

Protest lässt sich immer dann wirkungsvoll auf die Straße tragen, wenn er sich an Themen orientiert. Bestes Beispiel ist die Antiatombewegung, die derzeit einen zweiten Frühling erlebt. Auch andere Felder taugen zum argumentativen Kampf. Bei den Bürgerrechten etwa wird die schnell mobilisierbare Szene um die Piratenpartei darauf achten, ob die FDP tatsächlich als Bollwerk gegen Überwachungsideen funktioniert. Und bei den Krankenkassenbeiträgen wird es viele aufregen, wenn die Koalition tatsächlich nur die Beschäftigten, nicht aber die Arbeitgeber belastet.

Bild: anja weber

Ulrich Schulte ist Leiter des Inlandsressorts der taz.

Wie schwierig es ist, zivilgesellschaftlichen Protest zu organisieren, zeigte sich bei den Hartz-Gesetzen. Die rot-grünen Reformen stellten einen beispiellosen Einschnitt in Arbeitsmarkt- und Sozialsysteme dar. Sie führten letztlich zum Einzug der Linkspartei in die Parlamente, doch die großen Montagsdemonstrationen schrumpften schnell zu Nischenveranstaltungen.

Es wäre eine echte Herausforderung für Gewerkschaften und andere Kräfte, zivilgesellschaftlichen Protest unter Schwarz-Gelb neu zu denken. Dafür reicht es nicht, wolkige Regierungsmissetaten und soziale Aufstände vorherzusagen. Fundierte Kritik an Entscheidungen der Koalition muss her - genug Stoff dafür wird es geben.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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5 Kommentare

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  • T
    Thomas

    @Felix. Das mit der Ideologie greift mir zu kurz. Du meinst die Deregulierung der Finanzmärkte? Diese ist hauptsächlich von den angel-sächsischen Ländern vorangetrieben worden, bspw. von der britischen Labour. Schröders Rot-Grüne Regierung hat m.W. die Heuschrecken zwar populistisch beschimpft ansonsten aber auch dabei im Kleinen mitgeholfen. Solltest Du Dich mal informieren.

     

    Bzgl. Besserverdienenden: Ab wieviel Euro im Monat zählt man denn dazu? Schafft man das auch schon mit Bafög? Was verdienst Du denn? Vielleicht solltest Du mir was abgeben, wegen der sozialen Gerechtigkeit.

  • M
    Mirko

    Öhm, ja, sachliche Argumentation.

    Mag ja sein, dass die bei folgenden Wahlen (auch Landtagswahlen) der SPD helfen, zumindest wenn die ihre "sachlichen Argumente" nicht durch Selbstzerfleischung entwerten.

    Aber was hat das mit Beispielen wie Hartz IV und Überwachung zu tun? In beiden Fällen gab es sowohl mehr als genug sachliche Argumente und Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern.

    Dass die Montagsdemos eingeschlafen sind, dürfte wohl eher mit der (ausbleibenden) Reaktion zu tun gehabt haben. Was bringt denn eine Demo, die von Politik und Presse völlig ignoriert wird? (PDS/Linke sowie Nazis und andere Stimmenfänger ausgenommen.)

    Selbst der Stimmverlust wird geflissentlich ignoriert, so lange man die wählbaren (im Sinne von "auf dem Wahlzettel vorhandenen") Alternativen irgendwie diskreditieren kann: Kommunisten, Nazis, weltfremde Nerds, Verbrechenssympathisanten (Raub- und Privatkopierer), ...

    Vermutlich tut sich erst etwas, wenn die Linke über 50% kommt (vorher würden vermutlich selbst SPD, CDU, Grüne und FDP koalieren...) oder es zu dauerhaften gewaltsamen Ausschreitungen kommt. Beides allerdings auch nicht gerade erstrebenswerte Alternativen - und hierzulande ohnehin äußerst unwahrscheinlich...

     

    (Nicht, dass ich etwas gegen sachliche Politik hätte. Im Gegenteil. Aber Argumente müssen auch gehört und verarbeitet werden...)

  • FN
    Felix Nagel

    @Thomas

    Es geht darum die Ideologie zu stoppen die uns diese Krise eingebrockt hat. Wer das immer noch nicht verstanden hat muss zu FDPs Besserverdienenden gehören ;-P

  • T
    Thomas

    Wenn ich das schon lese: Kampf, Widerstand, Kampf. Nach Ulrich Schulte soll die deutsche Linke das werden, was die amerikanische Rechte schon ist. Ein idologischer Haufen, der um jeden Preis den Erfolg der Regierung verhindern will. Es geht Ihm gar nicht mehr darum, was für die Gesellschaft am Besten ist, sondern nur ums Blockieren. Was für ein Armutszeugnis.

  • R
    Richter169

    Hallo user,

    ich bin gespannt ob die Regierung bzw. die FDP ihr Wort in Punkto Bürgerrechte hält oder ob sie meint das ist nicht wichtig.

     

    Bis dann

    LG von Richter169