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Kommentar Schwarz-Grün in HessenEin postideologisches Symbol

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Wenn es möglich ist mit der Traditionskompanie der CDU in Hessen zu regieren, dann geht Schwarz-Grün überall. Mit der SPD muss man kein Mitleid haben.

Der Bildbeweis: Schwarz-Grün weist auch in Hessen von rechts nach links Bild: dpa

F ür die Grünen, die seit der Bundestagswahl ziemlich orientierungslos wirken, gibt es einen Lichtblick, sogar einen ziemlich hellen. Wenn es möglich ist mit der Traditionskompanie der CDU in Hessen zu regieren, dann geht Schwarz-Grün überall. Die mögliche Koalition von Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir ist ein Symbol des Postidelogischen: die Allianz von Alt- und Neobürgertum über alte kulturelle Gräben hinweg.

Es zeichnet sich ab, was Schwarz-Grün in Wiesbaden wird: CDU-Weiter-so plus ein paar grüne vorzeigbare Symbole in der Energie- und Verkehrspolitik. Man kann nur hoffen, dass Al-Wazir mehr Schwung hat als die Grünen in Frankfurt. Dort haben sich die Ex-Alternativen bis zur Unkenntlichkeit an die CDU angeschmiegt.

Für den deutschen Parlamentarismus ist Schwarz-Grün in Hessen Zeichen für neue Beweglichkeit – und auf jeden Fall besser als eine CDU-SPD Regierung in Wiesbaden. Denn noch eine aus Alternativlosigkeit erzwungene Große Koalition hätte die Sauerstoffzufuhr der Demokratie weiter gedrosselt.

Für Angela Merkel ist dies ebenfalls eine gute Nachricht. Schwarz-Grün könnte ja eine preisgünstige Antwort auf das nach FDP-Pleite und AfD-Aufstieg ausfransende liberal-konservative Lager sein. Für die politische Linke hingegen ist Schwarz-Grün ein Debakel. Thorsten Schäfer-Gümbel ist auf ganzer Linie gescheitert – weniger spektakulär als 2008 Andrea Ypsilanti, aber noch nachhaltiger.

Im Wahlkampf hatte die SPD alles versucht, um die Linkspartei aus dem Landtag zu drängen. Anstatt danach in den Rot-Rot-Grün Gesprächen zu versuchen mit der Linkspartei die Grünen ins Boot zu holen, hat Schäfer-Gümbel die abfällige Haltung Richtung Linkspartei weiter kultiviert. Klug wäre gewesen, wenn die SPD in den letzten vier Jahren eine politische Annäherung in Gang gesetzt hätte, um die Linkspartei mit Angeboten zu Kompromissen zu locken. Doch dazu fehlt der SPD die strategische Intelligenz, nicht nur in Hesse.

In Wiesbaden steht die Sozialdemokratie nun vor rauchenden Trümmern. Die Grünen, ihr bisheriger Bündnispartner, wechseln das Lager und nähern sich im Parteiensystem der komfortablen Position in der Mitte an. Die SPD hingegen wird sich in Zukunft noch häufiger in einer trostlosen Zwangslage wiederfinden: entweder Große Koalition oder Opposition. Kein Mitleid. Das ist die Quittung für die selbst verschuldete Lernblockade der SPD in Sachen Rot-Rot-Grün.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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19 Kommentare

 / 
  • E
    Ex-Grüner

    Ob der Platz in der Mitte sich für die Grünen wirklich als so komfortabel erweist, bleibt meines Erachtens nochmal abzuwarten. Klar, für die frei fluktuierenden Wechselwähler in der Mitte werden sie damit attraktiver. Aber einen Großteil ihrer Stammwähler, zumal in Nord- und Westdeutschland, werden sie dafür dauerhaft verlieren. Ob sich das wahltaktisch (und um etwas anderes scheint es ja den Kretsch- und Ratzmännern und -frauen nicht mehr zu gehen) wirklich auszahlt?

    Nur von Wechselwählern zu leben, also bei jeder Wahl immer bei Null beginnen und auf das Momentum hoffen zu müssen, ist auf die Dauer ein hartes Brot. Fragt mal bei der FDP nach. Und wenn die unter Herrn Lindner wieder ein bißchen in die sogenannte Mitte rücken, wo die äußerlich sozialdemokratisierte Merkel-CDU und der Seeheimer Kreis auch schon ihre Zelte aufgeschlagen haben, dann könnte es bei diesem Gedränge gerade für die grünen Wendehälse ziemlich eng werden.

  • "..gibt es einen Lichtblick, sogar einen ziemlich hellen. .."

     

    Angeblich hört ein Mensch, der von einer Gewehrkugel getötet wird, den Schuss nicht mehr. Den Lichtblitz des Mündungsfeuers kann er noch wahrnehmen.

  • WIe passend, der grüne Pfeil zeigt in die Vergangenheit. Mit den schwarzen Männern und Frauen ist keine der Zukunft zugewandte Politik möglich.

  • Das kommt bei raus, wenn die Egalos der Grünen die Oberhand gewonnen haben.

  • H
    Hanz

    Die CDU war noch nie wählbar, die SPD ist es seit einiger Zeit auch nicht mehr und nun machen die Grünen mit einem Rechtsaussen gemeinsame Sache. Damit sind die Grünen jetzt entgültig in der Unwählbarkeit angekommen! Schade, alle Ideale verraten und verkauft!

  • BB
    Butter bei die Fische

    "Thorsten Schäfer-Gümbel ist auf ganzer Linie gescheitert" - WIESO?

     

    Etwa, weil er nicht um jeden Preis ein bisschen in der zweiten Reihe mitregieren möchte? Weil ihm eine klare Handlungsperspektive für Hessen wichtiger ist, als ein paar warme Ministersessel?

     

    Daß TSG die "abfällige Haltung gegenüber der Linkspartei kultiviert" habe ist nicht nur eine hohle Phrase, das grenzt in der Tat schon an übler Nachrede. Gescheitert sind die Verhandlungen an den maroden Finanzen des Landes, am Haushaltsloch von rund einer Viertel Milliarde Euro, das schwarz-gelb hinterlassen hat und an den diametralen Auffassungen zum Verfassungsgebot der Schuldenbremse. Die SPD sieht sich verpflichtet einen ausgeglichenen Haushalt einzubringen und drängte auf ein Sparprogramm, das auch Personalabbau im öffentlichen Dienst vorsah, die Linke hingegen stellte diese Pflicht zur Diskussion und versteifte sich in den Sondierungsgesprächen alternativlos auf Neuverschuldung statt Sparen.

     

    Wir dürfen gespannt sein, wie die neue schwarz-grüne Koalition das Haushaltschaos in den Griff kriegen will, sozial ausgewogen wird es kaum werden, denn wenn diese beiden Parteien für etwas in Hessen nicht stehen, dann für soziale Ausgewogenheit.

     

    Der Autor sieht den "deutschen Parlamentarismus" als Gewinner, weil um ein Rechenspielchen reicher - gerade so, als hätte es die Erfahrungen von Hamburg und Frankfurt nicht gegeben.

     

    Ich sehe die "kleinen Leute" in Hessen erneut als Verlierer. Schade eigentlich, daß die für Herrn Reinecke so gar keine Rolle spielen.

  • S
    Sören

    Dem Kommentar kann man uneingeschränkt zustimmen. Es ist eine sehr gute Nachricht, dass es in Hessen nicht automatisch zu einer Großen Koalition gekommen ist, sondern die CDU bereit ist, sich auf etwas neues einzulassen.

     

    Die SPD hätte die vergangene Legislaturperiode, in Hessen und im Bund, nutzen müssen, um ihr Verhältnis zur Linken zu klären. Sie hat es versäumt, und wird jetzt mit Recht dafür bestraft. Die Grünen haben gegenüber der SPD keinerlei Verpflichtungen - die SPD würde ein Angebot Bouffiers auch annehmen.

     

    Die konservative Ausrichtung der Hessen-CDU ist eher ein Argument Pro Schwarz-Grün. Denn wenn es auf Bundesebene zu einer solchen Konstellation käme, wäre auch die CSU beteiligt. So kann man jetzt erproben, wie die Grünen mit einem so konservativen Partner umgehen können.

     

    Die meisten Wähler beurteilen Koalitionen pragmatisch, und danach, was eine Konstellation erreicht. Sie wollen, dass Politiker für die Menschen zusammenarbeiten. Etwas aus ideologischen Gründen auszuschließen passt in keiner Weise in eine unideologische Gesellschaft wie die unsere. Am Ende werden die Grünen danach beurteilt werden, welche Akzente sie setzen konnten - genauso wäre es bei einer rot-grün-roten Variante auch gewesen.

  • B
    Überraschter

    Geschieht mir Recht!

     

    Habe im September Grün anstatt SPD gewählt, weil ich mir bei den Sozialdemokraten nicht sicher war, ob sie im Falle des Falles nicht doch mit der Union paktieren würden. Bei den Grünen sah ich diese "Gefahr" nicht!

     

    Man soll halt nicht taktisch wählen :-)

    • MB
      Mein Bedauern
      @Überraschter:

      Als Grüne-Stammwähler der ersten Stunde, tat es mir auch weh, als ich vor einigen Jahren meine Position bewahrt habe, die Grünen aber abgeschwenkt sind zur Mitte - und damit nach rechts. Sie waren ab da nicht mehr wählbar für mich. Herr Josef Fischer (ehemals Joscka), ist das Sinnbild für den Wandel dieser Partei. Selbstverliebt, dröge, konservativ, machtgeil. Schade um Ihre vertane Wahlstimme, ich fühle mit Ihnen.

  • D
    Dirk

    Wenn gar nix mehr geht, dann geht Schwarz-Grün. Aber halt, die Hamburger Erfahrung war absolut nicht gut. Ich prognostiziere al-Wazeer viel Ärger mit dieser CDU. Auch wenn bei der Union wohl durchsickert, dass Schwarz-Grün eigentlich eine Supersache ist oder werden muss. Aber die großen Lobbys nageln die CDU auf eine Linie, die mit den Grünen nicht gehen sollte. In Hamburg fiel die Bilanz auch recht mau aus, am Ende wollte der Wähler Klarheit und die gab's dann mit der SPD, die in Hamburg extrem gebeutelt und runtergewirtschaft war.

     

    Insofern: Eine miese Idee, auch wenn sie taktisch sinn machen müsste ...

  • RW
    Rainer Winters

    Wenn Grün mit Schwarz macht, ist das Verrat - selbst an den jämmerlichen

     

    Die politischen Ziele der Grünen stehen den realpolitischen Aktionen von CDU/CSU diametral entgegen.

     

    Beispiele der realpolitischen Aktionen von CDU/CSU:

     

    1. Waffenexporte gesteigert

     

    2. Schlecht bezahlte Mini-Jobs gefördert

     

    3. Grundrecht auf Post- und Briefgeheimnis aktiv ausgesetzt

     

    (Trittin wollte Snowden helfen, Pofalla pfeift drauf)

     

    4. Staatsschulden um 400 Milliarden Euro (!!) vermehrt – schlechteste Bilanz einer Bundesregierung seit 1949

     

    (Grüne wollen keine Neuverschuldung)

     

    5. Deutsche Kriegsbeteiligungen in Mali, Syrien (PATRIOT/Türkei), Südsudan, Libanon, Afghanistan

     

    (Da haben grüne Wähler was dagegen)

     

    6. PRO Privatisierung der Wasserversorgung

     

    (Grüne sind dagegen)

     

    7. PRO Panzerverkauf an Saudi-Arabien

     

    (Grüne waren dagegen)

     

    8. Persönlichen Datenschutz diffusen Sicherheitsmanien geopfert

     

    9. Kinderarmut, Altersarmut und Familienarmut verschärft

     

    10. Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet

     

    11. Gentechnik und Massentierhaltung ausgebaut

     

    CDU blockiert die notwendigen Gesetze

     

    12. Lebensmittelkontrollen erschwert und Klimaschutzprogramme gestoppt

     

    Hey Ihr Grünen, what's up?

     

    13. Nationalsozialistischen Untergrund gewähren lassen (z. B. in Thüringen und Sachsen)

     

    ... also wenn die Grünen da nichts gegen haben

     

    14. Atomenergie in Brasilien, Tschechien und Polen gefördert

     

    15. Strafvereitelung bei internationaler Steuerhinterziehung angestrebt

     

    16. Lobbyistenregister in Deutschland aktiv verhindert

     

    Grüne stehen für Transparenz, den Volksentscheid etc etc etc etc etc

     

    Die Realos der Grünen müssen aufpassen, dass sie keine Pragmatos werden.

    • D
      Desillusionist
      @Rainer Winters:

      "(...) Die politischen Ziele der Grünen stehen den realpolitischen Aktionen von CDU/CSU diametral entgegen.(...)"

       

      Sie sind anscheinend nicht auf dem Laufenden. Die wirklichen Ziele der hessischen Grünen sind längst nicht mehr politisch, sondern vor Allem besitz- und lifestylewahrend motiviert, einige Beispiele:

       

      1. Gutdotierte Posten in Politik und Verwaltung für verdiente Grünen-Parteikader, mögen diese auch die allerletzten Vollpfosten sein

       

      2. Erhalt der garantierten horrenden Solarstrom-Einnahmen für Häuserbauer mit Solardach

       

      3. Absolute(!) Jobgarantien für den höheren Öffentlichen Dienst, denn das sind die Grünen-Wähler

       

      4. Vertreibung sozial-lästiger, geringverdienender Personen aus angesagten Stadtteilen, deren Wohnraum danach von gutverdienenden Grünen-Wählern belegt werden kann

       

      5. Autogerechte Städte (Stichworte: Quartiersgaragen und Kita-Autoparkplätze)

       

      6. Prachtvolle Hochkultur auf öffentliche Kosten, die durch entsprechende Eintrittspreise dem Großteil der Bürger ausschliesst

       

      7. Geld, Geld und noch mehr Geld aus öffentlichen Mitteln für Alles, was der Grünen-Klientel behagt.

       

      Sie können sich das Alles exemplarisch in Frankfurt ansehen, wo CDU und Grüne seit langem in trautem Einvernehmen miteinander regieren.

  • RW
    Rainer Winters

    Wer einmal im Landtag auf der Tribüne saß, der hörte regelmäßig mehr Gemeinsamkeiten an der rot/rot/grün-Front versus absolut konträren Meinungen von schwarz/gelb.

    Warum sollte das nun anders sein? Es gibt noch andere Themen, die gegen schwarz/grün sprechen und für rot/rot/grün sprechen: Neben der Position Flughafenlärm steht das Thema Informationsfreiheitsgesetz IFG, welches Hessen unrühmlicherweise immer noch nicht hat. Diese bosnischen Zustände können nur rot/rot/grün ändern.

  • A
    Armutszeugnis

    Die neue FDP hat ein grünes Mäntelchen. Danke, Herr Al Wazir. Das Terminal 3 des Flughafens Frankfurt, wird nun also mit grüner Unterstützung vorangetrieben. Nicht nur an dieser Kröte werden die Grünen sich verschlucken. Dieter Hildebrandt lag immer im Kampf mit dieser Republik, damals bekam er noch Applaus von grüner Seite, für seinen Kampf gegen den Rhein-Main-Donau-Kanal. Heute zeigen sich die Grünen so, wie Hildebrandt es nie nötig hatte: Verformt bis zur Unkenntlickeit.

     

    Die grüne Revolution hat ihre Kinder schon längst gefressen. Übrig bleibt das, was jedem Verdauungsvorgang folgt.

  • H
    HGT

    Natürlich braucht man aus der beschriebenen Sichtweise kein Mitleid mit der SPD haben. Doch was bringt es, wenn in Zukunft beide roten Parteien in der Opposition sitzen wenn gerade in Hessen Schwarz-Grün erfolgreich ist?

     

    Die Verbittertheit des Autors erinnert an die klassischen Grabenkämpfe innerhalb der Linken. Sich über die Niederlage eines potentiellen Partners zu ergötzen bedeutet mehr als dem konservativem Bürgertum die Alleinregierung wegzunehmen.

     

    Denn nicht nur die Hessen-SPD muß sich ändern. Auch die Hessen-Linke.

  • X
    xy

    Scheiß SPD

    • @xy:

      Das ist doch mal eine fundierte Meinung.

  • K
    Kaboom

    Wenn die Grünen die Position der FDP einnehmen wollen, bitte schön. Dann sind sie in der deutschen Parteienlandschaft genauso notwendig wie die FDP. Und werden den gleichen Weg gehen.

    NIEMAND benötigt nämlich eine Partei, deren Haupt-Existenzberechtigung darin liegt, zu Regieren.

    Aber gut, in der letzten Legislaturperiode haben die Grünen (genau wie die SPD) über 4 Jahre hinweg gar nicht mitbekommen, dass sie in der Opposition sind. Insofern ist vermutlich ein Weckruf übefällig. Das Desaster bei den Bundestagswahlen hat offenbar nicht ausgereicht.

  • D
    Desillusionist

    "(...) Für die Grünen, die seit der Bundestagswahl ziemlich orientierungslos wirken, gibt es einen Lichtblick, sogar einen ziemlich hellen.(...)" - Es hat schon mancher einen auf gleichem Gleis entgegenkommenden Zug mit dem Licht am Ende des Tunnels verwechselt. Die Grünen werden es nicht merken, bevor es vernehmlich knallt.