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Kommentar SchwangerschaftsabbrücheVon wegen „Kompromiss“

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Im Streit um Paragraf 218 wird es keine Lösung geben, die alle zufriedenstellt. Eine Verschärfung des Gesetzes muss aber niemand fürchten.

Weil Abtreibungen als Verbrechen behandelt werden, gibt es immer weniger Praxen, die sie machen Foto: imago/IPON

F ür Samstag hat das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen. Dabei soll es nicht nur um Proteste gegen die geplante Neuregelung des Paragrafen 219a gehen – also darum, wie Ärzt*innen in Zukunft über Abtreibungen informieren dürfen.

Zu Recht fordert das Bündnis, auch den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Denn anders als viele Politiker*innen und Kommentator*innen unterstellen, handelt es sich beim § 218 nicht um einen guten Kompromiss und damit Ausdruck von Politikfähigkeit.

Ein Kompromiss würde voraussetzen, dass sich zwei gleich starke Lager gegenüberstehen: Auf der einen Seite diejenigen, die Schwangerschaftsabbrüche verbieten, auf der anderen diejenigen, die sie – in der Frühschwangerschaft – erlauben wollen. Diese zwei Lager existieren nicht. Was es gibt: Menschen, die akzeptieren, wenn Frauen eine Schwangerschaft beenden wollen und dass dies ihre ganz persönliche Entscheidung ist.

Und es gibt Menschen, die das nicht ertragen und in einen Konflikt geraten: Auf der einen Seite steht das Entsetzen darüber, dass eine Frau das Kind, das in ihr wächst, wegmachen lässt. Auf der anderen Seite steht das Wissen, dass ungewollt Schwangere nicht zum Austragen gezwungen werden können und Frauen bei illegalen Abtreibungen sterben.

Eiken Bruhn

ist taz-Redakteurin in Bremen. Im März 2017 schrieb sie in der taz über den deutschlandweiten Mangel an Abtreibungs-ärzt*innen. Dass das vor ihr noch niemand getan hatte, konnte sie zunächst nicht glauben. Nach dem Gezerre um den § 219a wundert sie gar nichts mehr.

Ein juristisches Kuriosum

Wer diesen inneren Konflikt nicht bewältigt, hält den § 218 für einen guten Ausweg aus seinem persönlichen Dilemma. Denn Schwangerschaftsabbrüche gelten danach als Tötungsdelikt, werden aber nicht als Straftat verfolgt, wenn bestimmte Auflagen eingehalten werden. Dieses juristische Kuriosum – weltweit einmalig – ist die Lösung einer 1993 vom Bundesverfassungsgericht gestellten Aufgabe. Das hatte eine „grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes“ erkannt und daraus die Notwendigkeit eines strafbewehrten Verbots abgeleitet.

Ganz vorbei an den Grundrechten der Frau kamen das Gericht – sieben Männer, eine Frau – nicht und erfand ein „Schutzkonzept“, das die Frau durch „individuelle Beratung und einen Appell an ihre Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben […] dafür zu gewinnen sucht, sich der Aufgabe als Mutter nicht zu entziehen“.

Jetzt rächt sich, dass SPD und Grüne seit 24 Jahren nichts für Mehrheiten zur Abschaffung des § 218 getan haben

Seitdem gibt es die Pflichtberatung, die laut Schwangerschaftskonfliktgesetz „ergebnisoffen“ sein und „dem Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen soll. Eine Generation hat sich an diesen Widerspruch gewöhnt. Über zweieinhalb Millionen Frauen haben sich vor dem Abbruch beraten lassen, auch wenn der Entschluss bei zwei Dritteln feststand. Das hatte 2016 eine Befragung von 340 Frauen im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben.

Jetzt rächt sich, dass SPD und Grüne, die eine Fristenregelung bevorzugen, nach der Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen erlaubt sind, seit 24 Jahren nichts dafür getan haben, um Mehrheiten für die Abschaffung des § 218 zu organisieren. Denn das Gesetz hat Nebenwirkungen, wie die taz vor zwei Jahren aufgedeckt hat: Weil Abtreibungen in Deutschland als Verbrechen behandelt werden, gibt es immer weniger Ärzt*innen, die sie machen. Deshalb müssen Frauen für einen Abbruch in einigen Regionen 100 Kilometer und mehr fahren. Dennoch beharrt die SPD darauf, der § 218 würde den Zugang zum sicheren Abbruch garantieren.

Öffnet die AfD die „Büchse der Pandora“?

Politiker*innen von Grünen und SPD reden sich auch gerne damit heraus, dass sie eine Debatte über den § 218 vermeiden wollten, um zu verhindern, dass er verschärft würde. Das Ergebnis: Jetzt sind es die Rechtspopulisten, die das Thema besetzen. Die erste Debatte seit 1995 im Deutschen Bundestag, die explizit die Abschaffung des § 218 zum Thema hatte, fand im Dezember statt: Auf Antrag der AfD, die die Jusos dafür angriffen, dass diese die Streichung des § 218 forderten. Die Jusos würden es gutheißen, wenn „Babys“ „eine Minute vor der Geburt getötet werden“ können, so die AfD.

Das Motiv der AfD ist menschenfeindlich, aber man muss fast hoffen, dass sie „die Büchse der Pandora“ öffnet, wie es ein CSU-Abgeordneter in der Debatte nannte. Eigentlich muss der Gesetzgeber nämlich überprüfen, ob der § 218 seinem Schutzauftrag gerecht wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht 1993 in seinem Urteil verlangt. Aber um das beurteilen zu können, müsste es belastbare Zahlen geben. Die gibt es nicht.

Das Einzige, was derzeit als Beweis für die Wirksamkeit des „Schutzkonzepts“ bemüht wird, sind die Daten des Statistischen Bundesamts. Danach ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche rückläufig, mit Ausrutschern nach oben. Aber ob alle niedergelassenen Ärzt*innen und Kliniken ihrer Meldepflicht nachkommen? Wenn niemand sie kontrollieren kann? Und ob die Beratungspflicht ursächlich für den Rückgang ist? Oder vielmehr Lebensumstände?

Pures „Lebensschützer“-Denken

Es gibt noch mehr Fragen, die nicht gestellt werden – aus Angst vor den Antworten. Zum Beispiel: Wie wirkt sich die Beratungspflicht auf das Beratungsergebnis aus? Die erwähnte Studie der Bundeszentrale ist die einzige, die sich mit Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland beschäftigt. Darin finden sich Hinweise, dass Frauen, die befürchten, zum Austragen des Kindes überredet zu werden, den Gedanken verdrängen, dass sie es vielleicht doch bekommen möchten. Und wie oft wird unentschlossenen Frauen wortlos der Schein rübergeschoben, weil die Beraterin sie nicht unter Druck setzen will?

Die Bundesregierung interessiert sich dafür nicht, will aber „die seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ untersuchen lassen. Das ist zwar pures „Lebensschützer“-Denken, bietet aber eine Chance. Denn wer seriös erforscht, warum Frauen nach einer Abtreibung leiden, wird zu dem Ergebnis kommen, dass dies eng mit dem Grad der Tabuisierung des Themas verknüpft ist.

Letztlich muss sich niemand vor einer möglichen Verschärfung des § 218 fürchten: Ein Bundesverfassungsgericht, das der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und dem drittem Geschlecht den Weg ebnete, wird Frauen keine Austragungspflicht mehr auflegen.

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Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin.
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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Im Grunde bin ich durchweg für das Recht auf Abtreibung. Auf der anderen Seite kann ich eine gewisse Schadenfreude über die verdrehte Ausgangslage kaum unterdrücken.

    Normalerweise kommt hirnverbrannter Unfug, der nur winzige Minderheiten interessiert von Links und die Demokratie muss dann unter dem gefühlsduseligen Gefasel leiden das da als wichtige, politische Debatte verkauft wird. Nun ist es endlich einmal anders herum und man bekommt seine eigene Medizin zu schmecken und merkt wie widerlich es ist das man sich als Zugehöriger eine gigantischen Mehrheit in einer Demokratie von meinungsstarken Schreihälsen vorführen lassen muss.

  • Es ist ja nett, wenn so ein Kommentar wenigstens als Lippenbekenntnis die Sorgen derer erwähnt, die aus biologischen oder weltanschaulichen Gründen die These ablehnen, dass das Leben und das Menschsein erst mit der Geburt oder auch mit der 13. Schwangerschaftswoche beginnt. Aber das war's dann auch.

    Leider kommt nämlich die Frage, inwieweit auch der Rechtsstaat dem Ungeborenen gegenüber zum Schutz verpflichtet ist, danach nicht mehr vor. Es geht ausschließlich um Wünsche und Bedürfnisse der abtreibungswilligen Schwangeren und in inwieweit die aktuelle Rechtslage denen zuwiderläuft. DAS ist ein unausgewogene Betrachtung, wie sie im Buche steht. Sie verdient es nicht, über den weit differenzierten Kompromiss zu urteilen, den die heutige Rechtslage darstellt.

    Davon ab: Die Streichung von § 218 StGB wäre nicht die Einführung einer unbeschränkten Fristenlösung sondern die generelle Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur Geburt. Wer das befürwortet, gibt in erschreckender Naivität der AfD Recht.

    Letzter Punkt: Die Beschreibung der Freigabebefürworter als "Menschen, die akzeptieren, wenn Frauen eine Schwangerschaft beenden wollen und dass dies ihre ganz persönliche Entscheidung ist." ist rechtsstaatlich betrachtet wenig hilftreich. Es gibt sicher auch "Menschen, die akzeptieren, dass Menschen nicht gezwungen werden können, das Sexualverhalten eines Familienmitgliedes als nicht ehrenrührig tatenlos hinzunehmen, und dass dies ihre ganz persönliche Entscheidung ist." In beiden Fällen kann das Resultat der "freien Entscheidung" als Verlust eines menschlichen Lebens gesehen werden, und wer das zu einer reinen Frage der persönlichen Akzeptanz erklärt, steht NICHT auf dem Boden unserer Verfassung.

    Also nochmal: Leben ist absolut schützenswert, Würde ist absolut schützenswert. DAS ist der Konflikt. Der geht nicht nur die einzelne Schwangere an und lässt sich auch nicht "überwinden", indem man eine Seite einfach unterbuttert.

    • @Normalo:

      Kommentare wie dieser sind der Grund, warum ich Männern bei diesem Thema nicht mehr zuhöre.



      Die Entscheidung, ein Kind auszutragen, liegt, was die Last angeht, zum allergrößten Teil bei der Frau. Nicht nur, was die Schwangerschaft angeht, sondern auch die Zeit danach.



      Dieses Schwadronieren von "ungeborenem Leben" (das ziemlich lange außerhalb des Uterus gar nicht lebensfähig ist) plus Menschenwürde trifft Schwangere mit voller Wucht, die nach der Geburt sehen können, wo sie bleiben, wenn das Umfeld nicht stimmt. Und die Vision einer Abbruchsmöglichkeit bis zur Geburt ist auch einfach lächerlich. Hier kann der Gesetzgeber regulierend eingreifen und hat das in Ländern mit vernünftigem, frauenfreundlichen Abtreibungsrecht auch getan.



      Da Frauen nun mal Kinder austragen, muss die Entscheidung, ob sie das tun wollen, auch ihnen obliegen, und zwar ohne Wenn und Aber. Männer haben nicht das Recht, über weibliche Körper zu entscheiden. Wir leben nicht mehr im Mittelalter und auch nicht in einer Theokratie.

    • @Normalo:

      Sie irren, Leben ist offensichtlich keineswegs absolut schützenswert. Warum sonst soll nur das ungeborene Leben geschützt werden? Das geborene Leben kann ja zwischenzeitlich problemlos im Mittelmeer verrecken.

      • @Lapa:

        Die Polemik und Themaferne Ihrer Antwort gibt mir das wohlige Gefühl, dass ich wohl in der Sache nicht so schief liegen kann... ;-)

        Aber mal so sachlich betrachtet wie möglich: Dass es Orte und Situationen auf der Welt gibt, in denen faktisch menschliches Leben nicht hinreichend geschützt wird (und dies in Teilen auch uns Deutschen bzw. unserer Staatsgewalt vorzuwerfen ist), tut der Schutzbedürftigkeit des Lebens und der entsprechenden verfassungrechtlichen Garantie keinen Abbruch. Es gehört zum Wesen des "absoluten" Lebensschutztes, dass er nicht durch unverhinderte Todesfälle relativierbar ist. Ich dürfte auch Sie nicht verrecken lassen, wenn ich Sie blutend irgendwo vorfinden würde, nur weil den Passagieren der Schlepperboote auf dem Mittelmeer auch nicht ausreichend geholfen wird, oder?