Kommentar Sauerland-Prozess: Zelle mit Schwachstellen
Das oft bemühte Bild, in Deutschland könnten Dutzende von islamistischen Schläfern auf ihren Einsatz warten, wurde in diesem Prozess nicht ansatzweise bestätigt.
Der Angeklagte Fritz G. ließ keinen Zweifel: Seine Gruppe hatte wirklich einen mörderischen Anschlag in Deutschland geplant und er hat im Auftrag einer usbekischen Terroreinheit namens Islamische Dschihad-Union (IJU) gehandelt. Und ja, diese IJU existiert wirklich. Mit seinen Aussagen hat Fritz G. wohl endgültig allen Spekulationen den Boden entzogen, dass es sich bei der Anklage ganz oder teilweise um eine Konstruktion deutscher, amerikanischer oder usbekischer Sicherheitskreise handelt.
Dennoch sind die Nachrichten aus diesem Prozess nicht nur beunruhigend. Die IJU hatte die vier Angeklagten der sogenannten Sauerland-Zelle mit dem Anschlag beauftragt, weil es ansonsten einfach niemanden gab, der einen derartigen Job hätte erledigen wollen. Auch die vier Verdächtigen fühlten sich für ein derartiges Unterfangen weder gut gerüstet noch besonders geeignet, da sie zuvor schon ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten waren.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.
Das oft bemühte Bild, in Deutschland könnten Dutzende von islamistischen Schläfern - also unerkannte Terroristen - auf ihren Einsatz warten, wurde in diesem Prozess also nicht ansatzweise bestätigt.
Beruhigend auch, dass die kleine Schar der Terroristen von Beginn an unter der Beobachtung der Sicherheitsbehörden stand. Diese hatten sich zwar teilweise - möglicherweise absichtlich - so plump angestellt, dass die Verdächtigen ihre Überwachung sofort bemerkten. Trotzdem hatten sie sich dazu entschlossen, ihr Vorhaben unter den Augen der Polizei fortzuführen.
Die islamistischen Terroristen sind zwar zu allem entschlossen, ihre entscheidende Schwachstelle ist aber, dass sie nicht einmal Sprengstoff haben und diesen mühsam aus Industriechemikalien herstellen müssen. Das verhindert spontane Aktionen und erleichtert den Zugriff des Staats.
Für die kriminalpolitische Debatte kann aus diesen Erkenntnissen also niemand Honig saugen. Bürgerrechtler müssen anerkennen, dass ein gewisses Maß an Kommunikationsüberwachung, wenn es die Richtigen trifft, Anschläge mit Hunderten von Toten verhindern kann. Die Sicherheitsbehörden müssen sich aber vorhalten lassen, dass ihr Instrumentarium ziemlich gut funktioniert hat, es also keinen Grund für ständige Verschärfungen gibt.
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