Kommentar SPD-Pläne zur Einwanderung: Wahlkampfstrategisch gereift
Die SPD fordert eine unbürokratische Zuwanderung von Arbeitskräften. Der Gesetzentwurf spricht CDU-Wähler an – und führt deren Partei vor.
Die SPD hat von ihrem Koalitionspartner gelernt. Im letzten Wahlkampf mussten die Sozialdemokraten hilflos mit ansehen, wie die Union mit klassischen Sozithemen punktete: Mindestlohn. Mietpreisbremse. Höheres Kindergeld. Das alles versprach eine beliebte CDU-Kanzlerin im Fall der Wiederwahl. Peer Steinbrück wetterte über Themenklau – und verlor gegen Merkel.
Vier Jahre später dreht die SPD den Spieß um. Und zwar mit einem Thema, das konservative Stammwähler aus der Wirtschaft schon lange einfordern: eine unbürokratische Zuwanderung von Arbeitskräften. Im vergangenen Jahr haben es gerade mal 5.867 Personen mit einer Blue Card nach Deutschland geschafft.
Die SPD verspricht nun mit ihrem Gesetzentwurf „bedarfsorientierten“ Zuzug. Steuerbar, im Gegensatz zu den Südeuropäern, die sich einfach hier niederlassen dürfen. Mit dem Einwanderungsgesetz soll zudem der Asyldruck verringert werden. Die Union dürfte not amused sein. Ihr Koalitionspartner gibt vor, das neue Gesetz noch vor der Wahl verabschieden zu wollen – dazu müsste die Union jedoch zustimmen. Die Sozis wissen genau, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist.
Es ist kein großes Geheimnis, dass sich die CDU das Thema für 2017 aufsparen wollte: und zwar für eine mögliche Koalition mit den Grünen. Das Einwanderungsgesetz wäre, neben der Homo-Ehe, das Projekt, mit dem die Grünen-Spitze ihrer Basis die Union als Koalitionspartner schmackhaft machen könnte.
Das alles weiß die SPD. Mit ihrem Vorstoß setzt sie die Union gekonnt unter Zugzwang. Stimmt die zu, gehen die Meriten an die SPD. Lehnt sie ab, wirkt ein eigener Vorstoß nur ein Jahr später unglaubwürdig. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat schon angekündigt: Das Thema kommt auf die Wahlkampfliste. Damit zeigt die SPD, dass sie wahlstrategisch gereift ist. Sie spricht CDU-Wähler an, führt deren Partei vor und torpediert Schwarz-Grün.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?