Kommentar SPD-Flüchtlingspolitik: Wie Horst und Katrin zugleich
Die SPD sollte hoffen, dass im Wahlkampf wenig über Flüchtlinge geredet wird. Parteichef Sigmar Gabriel muss hier gleichzeitig holzen und säuseln.
D ie SPD kann in der Flüchtlingspolitik wenig bis nichts gewinnen. Ganz egal, wie sehr sich Sigmar Gabriel – Parteichef und immer mehr auch Wahlkämpfer – auch anstrengt. Merkels Mantra „Wir schaffen das“ reiche nicht, kritisiert er jetzt. Die Union packe die Voraussetzungen für Integration nur sehr zögerlich an. Das mag sein, aber nutzen wird dieser richtige Hinweis Gabriel nicht.
Der SPD-Chef hat früh für Investitionen geworben, damit sich die Hunderttausende Geflüchteten gut in Deutschland einleben. Die SPD war im Vergleich mit CDU und CSU die Antreiberin, wenn es darum ging, Milliarden auszugeben für überlastete Kommunen oder mehr Bundespolizei. Gabriels Profilierungsversuch hat also einen wahren Kern. Aber auch er muss sich vorhalten lassen, dass das Engagement der Regierung hinten und vorne nicht reicht.
Ob es nun Wohnungen sind oder Psychologen für traumatisierte Flüchtlinge oder Sozialarbeiter in Schulen – die Kluft zwischen notwendiger und tatsächlicher Ausstattung ist oft grotesk. Die SPD hätte den Mumm haben müssen, viel mehr gegen die Union durchzusetzen.
Taktisch ist die Flüchtlingspolitik ein Feld, auf dem die Sozialdemokraten nur verlieren können. Das liegt an der Zerrissenheit ihres Publikums. Die Wähler der SPD stammen aus sehr vielen, sehr unterschiedlichen Milieus. Ein linksliberaler Uniprofessor, ein gut verdienender Facharbeiter und eine Lidl-Verkäuferin haben wenig gemeinsam.
Manche haben Angst vor den Geflüchteten, andere fühlen sich überfordert, wieder andere wollen mehr Willkommenskultur. Um dem allen gerecht zu werden, müsste Gabriel holzen wie CSU-Chef Horst Seehofer, aber auch säuseln wie die Grüne Katrin Göring-Eckardt – was selbst ein rhetorisches Talent wie ihn überfordert.
Die SPD kann deshalb nur hoffen, dass im kommenden Wahlkampf möglichst wenig über Flüchtlingspolitik geredet wird. Und Gabriel sollte seiner „Wir machen das“-Ankündigung schnell Taten folgen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?