Kommentar Ruf nach Räumung: Flora muss bleiben
Der Ruf nach dem Dichtmachen des autonomen Zentrums im Hamburger Schanzenviertel ist ein populistischer Reflex.
D ie Räumung des autonomen Zentrums Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel wegen der G20-Randale vom Freitag zu fordern, ist ein populistischer Reflex. Die deutschen, italienischen, französischen und spanischen Autonomen und die vielen alkoholisierten Männer wurden von den Floristen nicht dirigiert.
Das linke Zentrum aber ist genau der Ort für die Debatten, die nun in der Linken gefordert werden. Das hat Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt am Wochenende bewiesen. Er war ansprechbar und dialogbereit: Noch Freitagnacht distanzierte er sich vor laufenden Kameras von der Gewalt. Am Sonntag stellte er sich aufgebrachten Anwohnern. Am Mittwoch erneut eine Pressemitteilung: „Emanzipatorische Politik bedeutet für uns nicht, Unbeteiligte in Angst und Schrecken zu versetzen“, schreibt das Flora-Plenum und kündigt eine „selbstkritische Aufarbeitung“ an. Der in die Jahre gekommene Flora-Anwalt Andreas Beuth hat frühere Aussagen korrigiert, spricht von „politischer Mitverantwortung“, „sinnentleerter Gewalt“ und davon, dass die Flora den Opfern helfen werde, etwa mit einem Soli-Konzert.
Schon früher hat sich die Flora von Randale in der Schanze distanziert. In seiner jüngeren Geschichte war das linke Zentrum ein Ort, wo linke Positionen und Selbstverständnisse reflektiert und kritisiert werden konnten. Zuletzt, als auf einer Buchvorstellung die teils autoritären Sprechverbote in der queerfeministischen Szene kritisiert wurden. An den Tagen des Gipfelprotests flatterte ein großes Transparent vom Dach des Zentrums: „Gegen jeden Antisemitismus.“ Das war eine richtige Ansage auch an Teile des linken G20-Protests, die Hass auf jüdische Banker und Spekulanten mit Kapitalismuskritik verwechseln.
Gleichzeitig wurde die „Welcome to Hell“-Demo, für die die Flora-Aktivisten tatsächlich verantwortlich sind, am Donnerstag von der Polizei brutal aufgelöst, die eine lebensgefährliche Panik an den Mauern der Elb-Promenade in Kauf nahm. Noch am gleichen Abend prügelten Polizeitrupps wahllos auf friedliche Versammlungen und am Boden liegende Menschen ein.
Es gibt wohl wenige linke Orte, über die die Polizei so gut Bescheid weiß, wie über die Rote Flora: Jahrelang sind hier rechtswidrig verdeckte Ermittlerinnen den Aktivisten buchstäblich bis ins Bett gefolgt. Heraus kam dabei kein einziger Vorwurf. Dafür, nun die ganze Schuld auf das autonome Zentrum zu schieben, gibt es keine Grundlage. Der Reflex und die voreilige Schuldzuweisung verhindern vielmehr jegliche Analyse dessen, was passiert ist, und woher die Wut kommt, die sich am Freitag entladen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“