Kommentar Rücktritte in Österreich: Achtung, das ist keine Staatskrise
In Österreich mögen ranghohe Politiker bereit sein, die Republik zu verscherbeln. Doch keine Panik: Die österreichische Verfassung funktioniert.
W as gerade in Österreich passiert, ist keine Staatskrise. Bei allem Verständnis für ein gewisses Maß an Sensationsgier nach dem Ibiza-Skandal um Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) und bei aller Aufregung um den abgewählten Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP): Was da in Österreich passiert, ist das Gegenteil einer Staatskrise.
Denn wenn die schlechte Nachricht ist, dass in Österreich ranghohe Politiker gefilmt werden, wie sie auf Ibiza bei Wodka-Red Bull in einer Villa sitzen und anbieten, die Republik an eine vermeintliche russische Oligarchen-Nichte zu verschachern, dann sind die guten Nachrichten, dass die Medien als vierte Macht funktionieren und dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen nun mit einer derartigen Ruhe agiert, dass es eine Freude ist. Und die beste Nachricht ist, dass die österreichische Verfassung tut, was sie tun soll: eine Staatskrise verhindern.
Es ist allerdings durchaus eine Regierungskrise, wenn der eine Teil der Regierung zurücktritt und der andere samt Kanzler durch ein Misstrauensvotum abgewählt wird, schlimmer geht es kaum. Was man aber nicht vergessen sollte, ist, dass ein Misstrauensvotum kein Putsch, sondern ein demokratisches Instrument ist. Und dass alle Beteiligten Zeit hatten, sich vorzubereiten.
Das Ibiza-Video wurde ihnen nicht erst bekannt, weil Süddeutsche Zeitung und Spiegel es veröffentlicht haben. Laut Falter-Chefredakteur wurde in Journalistenkreisen schon seit etwa einem Jahr darüber geredet. Man kann davon ausgehen, dass sich viele politische Berater gründlich den Kopf darüber zerbrochen haben, wie man vorgehen möchte, wenn die Katze aus dem Sack ist.
In diesem Licht betrachtet, ist das alles eine wunderbare Inszenierung: HC Strache und Johann Gudenus, Hauptakteure im Video, treten zurück, aber nicht ohne zu sagen, wie ungerecht, besoffen und illegal alles war. Die FPÖ fährt danach wie gewohnt ihre „Jetzt erst recht“-Linie. Noch-Kanzler Sebastian Kurz tritt mit einem „Genug ist genug“-Statement vor die Presse und versucht sich darüber hinwegzuempören, dass er selbst es war, der die FPÖ in die Regierung geholt hat. Er erklärt die SPÖ für unfähig und besetzt die freien Ministerposten neu – offenbar ohne mit der Opposition zu beraten. Ein Misstrauensvotum war unausweichlich.
Zudem sei gesagt, dass es für eine Staatskrise selten einen singulären Auslöser gibt, keinen Tag X, ab dem alle schreiend im Kreis laufen. Eine Staatskrise ist ein schleichender Vorgang, bei dem eine Regierung versucht, eine Demokratie von innen auszuhöhlen. Dieser Zustand wurde in Österreich abgewendet, zumindest fürs Erste.
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