Kommentar Rücktritt BAMF-Chef: Zwischen den Interessen zerrieben
Die Koalition knirscht zwischen Abschottung und Humanismus, der BAMF-Chef ist ihr Bauernopfer. Nur die Kanzlerin kann das Problem lösen.
A usgerechnet in dem Augenblick, in dem seine Behörde so im Zentrum der Aufmerksamkeit steht wie noch nie in ihrer Geschichte, wirft ihr Chef das Handtuch. Auch wenn dafür „persönliche Gründe“ vorgeschoben werden – der Rücktritt von Manfred Schmidt, dem Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit Hauptsitz in Nürnberg, wirft ein Schlaglicht darauf, dass dort etwas Grundsätzliches im Argen liegt. Der Mann mit dem Allerweltsnamen war bisher nur wenigen ein Begriff. Er ist ein Bauernopfer, sagt die Opposition. Und dafür spricht vieles.
Es knirscht in der Großen Koalition. Die setzen auf Abschottung und mehr Restriktionen, die anderen wollen an humanitären Standards festhalten und das Asylrecht nicht weiter einschränken. Dazwischen versucht nicht nur die Kanzlerin die richtige Balance zu finden. Einfach ist das nicht. Den einen zu hart, den anderen zu weich: Ihr wichtigster Behördenchef in Sachen Asyl und Flüchtlinge ist zwischen den divergierenden Anforderungen jetzt zerrieben worden.
Zuletzt war seine Behörde von zwei Seiten unter Druck geraten. Seitens der SPD warf man ihrem Chef vor, sich zu sehr zum Sprachrohr von Innenminister de Maizière (CDU) gemacht zu haben, indem er sich dessen Forderungen zu eigen machte und sie in Interviews vertrat – und seien sie noch so populistisch, wie etwa de Maizières Vorschlag, Flüchtlingen das Taschengeld zu kürzen.
In der CSU nimmt man der Behörde dagegen übel, syrische Asylbewerber, die über Ungarn nach Deutschland gekommen waren, nicht mehr nach Ungarn zurückzuschicken – und diese Entscheidung auch noch per Tweet verbreitet zu haben. Dass sich derweil bei den Asyl-Entscheidern die Akten stapelten, weil nicht rechtzeitig genug Personal eingestellt worden war, bot allen einen willkommenen Anlass, seine Abberufung zu verlangen.
Die Verantwortung für den Engpass bei der Behörde trägt aber nicht nur ihr Chef, sondern auch dessen Vorgesetzter, Innenminister de Maizière. Er hätte längst dafür sorgen müssen, dass die Behörde personell angemessen aufgestellt wird, um ihre Aufgaben zu bewältigen – so war es schließlich schon im Koalitionsvertrag vereinbart. Der neue Behördenchef wird nun den Turbo einlegen müssen, damit es künftig nicht mehr so lange dauert, bis die Asylanträge bearbeitet werden.
Das Problem, die widerstreitenden Interessen in Einklang zu bringen, kann er nicht lösen. Das kann nur die Kanzlerin, sie hat die Richtlinienkompetenz. Sie sollte ihren Innenminister abberufen, der viel zu oft das Lied der CSU singt, und ihn durch einen loyaleren Kandidaten ersetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Unterbringung und Versorgung
Geflüchtetenaufnahme belastet Kommunen weiterhin deutlich