Kommentar Repression in Russland: Das Werk geweihter Schlichtgemüter

Das Meinungsforschungsinstitut „Lewada“ wurde zum „ausländischen Agenten“ erklärt. Der Autoritarismus droht in Totalitarismus umzukippen.

Tasche mit Putin als Motiv und Aufschrift „Putin braucht Dich“

„Putin braucht Dich“ – seine Anhänger sind mittlerweile dem Übereifer anheimgefallen Foto: imago/Christian Mang

Es wäre nicht nötig gewesen, Russlands einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut – das Lewada-Zentrum – zum „ausländischen Agenten“ zu erklären. Die Duma-Wahlen wird die Kreml-Partei „Einiges Russland“ (ER) in knapp zwei Wochen auch so gewinnen. Wahlausgänge in autoritären Systemen sind eine sichere Sache. Sollte es ungemütlicher werden, dann erst danach. Demokratien funktionieren umgekehrt, auf offene Wahlen folgt ein eingespieltes Verfahren.

Dass das Justizministerium mit dem Agenten-Stempel hantiert, ist ebenso unnötig wie kurzsichtig. Schaden und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Kreml und Gesellschaft verlieren einen sicheren Gradmesser und zuverlässige Rückendeckung. Denn Lewadas Wahlumfragen weichen von denen staatlicher Institute nicht wesentlich ab. Ähnliche Resultate eines unabhängigen und wirtschaftlich selbständigen Kontrahenten verschaffen der Führung gleichwohl mehr Legitimation als Daten aus der eigenen Küche.

Warum sollte der Kreml sich dieses wichtigen, glaubwürdigen und kostenneutralen Wahlhelfers entledigen? Sinn würde dies nur machen, wenn die Führung Einblicke in die Zeit danach besäße. Beunruhigende Einblicke, die es vor der Öffentlichkeit noch zu verbergen gilt. Doch das ist Spekulation.

Daher sieht die Stigmatisierung Lewadas eher nicht nach einem Auftrag von ganz oben aus. Vielmehr scheint eine Tendenz dahinter auf, die spätestens seit der Annexion der Krim immer weiter um sich greift. Die selbstgewählte Isolation gegenüber einer vermeintlich feindseligen Außenwelt verleitet die Gemüter nun auch im Inneren zur Denunziation. Auf allen erdenklichen Wegen signalisieren sie dem großen Anführer Treue und Loyalität.

Die selbstgewählte Isolation gegenüber einer vermeintlich feindseligen Außenwelt verleitet die Gemüter nun auch im Inneren zur Denunziation

Der Lewada-Antrag stammte von der Antimaidan-Bewegung, die die ukrainische Revolution verabscheut und grundsätzlich allen liberalen Kräften mit dem „gewaltsamen Kampf“ droht. Sie liegt Wladimir Putin zu Füßen. Kurzum: es ist eine Bruderschaft aus Rockern, Kampfsportlern und staatlich geweihten Schlichtgemütern. Ihr Wort zählt, ihre Methoden kritisiert niemand. Zu befürchten ist: mit ihnen überschreitet Russland die Grenze vom Autoritarismus zum Totalitarismus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.