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Kommentar Regierungsbildung PortugalKeine Angst vor den neuen Linken

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

In Portugal soll die Austeritätspolitik enden. Wer sich im Norden darüber beklagt, treibt die Leute in die Arme der Europagegner.

António Costa (links) freut sich. Er wird nun die Regierung bilden. Foto: reuters

P ortugals konservativer Ministerpräsident Pedro Passos Coelho fiel gestern erwartungsgemäß vor dem Parlament durch. Obwohl der Austeritätspolitiker bei der Wahl im vergangenen Oktober keine Mehrheit erzielte, hatte ihn Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva mit der Regierungsbildung beauftragt. Die linke Mehrheit aus Sozialisten, den Kommunisten und dem Linksbündnis Bloco hatte von Anfang an verkündet, dies nicht dulden zu wollen.

Gestern bei der Vorstellung des Regierungsprogramms, das auf weitere harte Sparpolitik setzte, wurde Passos Coelho auf die Oppositionsbank verbannt. Nun ist der ehemalige Bürgermeister von Lissabon António Costa an der Reihe. Er hat die Zeit genutzt und ein Regierungsabkommen mit den beiden Parteien links seiner Sozialisten geschmiedet.

Nach Griechenland bekundet damit ein weiteres EU-Mitglied den Willen, die Austeritätspolitik zu beenden. Spanien und Irland könnten bei den nächsten Wahlen in den kommenden Monaten folgen. Und das ist gut so.

Denn die Sparpolitik hat nichts als Arbeitslosigkeit und Armut für die breite Bevölkerung gebracht. Die Schere zwischen arm und reich war in Südeuropa noch nie so groß, wie sieben Jahre nach Beginn der Krise.

Die neuen Regierungen wollen letztendlich nur eines: einen Teil des verlorenen Sozialstaates zurückgewinnen. Dafür stand Europa zumindest bevor sich die Deutsche Bank verzockte und gerettet werden musste.

Die wahren Populisten

Bedauerlich, dass dies so manch derer, die sich im Norden Sozialdemokraten nennen, nicht sehen wollen. „Populismus“ nennen sie Parteien wie den portugiesischen Bloco, die griechische Syriza, die irische Sinn Féin oder die spanische Podemos, ohne zu sehen, dass sie ihre ureigensten Interessen aufgeben und ihre Wählerschaft verspielen.

Wer wie Sigmar Gabriel in Berlin oder Martin Schulz in Straßburg die große Koalition im Interesse der deutschen und französischen Großbanken unterstützt und den einfachen Menschen verschweigen will, wer für die Krise tatsächlich verantwortlich ist, darf sich nicht wundern, wenn Orientierungslosigkeit und Hass auf die dort im Süden so manchen in die Arme der wahren Populisten treibt. Und diese heißen nicht Tsipras oder Pablo Iglesias.

Es sind die rechten EU-Gegner wie Le Pen, Geert Wilders oder Frauke Petry und Björn Höcke. Wer die bisherige Politik weiter betreibt, schaufelt am Grab der Europäischen Union. Umdenken tut Not.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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9 Kommentare

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  • Obwohl schon unter Brüning in Deutschland Austerität gescheitert war, und zu verheerenden Folgen für Deutschland und der Welt führte, wird Brüning 2,0 Reloaded im Jahre 2015 wiederholt, und wiederholt und wiederholt?

    Wie lange will man die Fehler wiederholen? Reichen nicht Millionen von Arbeitslosen und prekär Beschäftigten?

     

    Was muss passieren, damit endlich die richtigen Programme eingeführt werden, oder wartet man darauf, dass wieder einer der Nationalisten an die Macht kommt, und Europa dem Erdboden gleich macht? Auswahl haben wir ja in Europa, da wäre Orban aus Ungarn, oder die Morgenröte aus Griechenland, oder Le Pen in Frankreich oder die NPD in Deutschland oder die wahren Finnen in Finland usw.?

     

    Würden dann die Verantwortlichen ihre Ideologischen Scheuklappen ablegen?

     

    Austerität hat noch nie in der Geschichte funktioniert! Ich gehe davon aus, dass wissen auch die Verantwortlichen, und halten nur deshalb daran fest, um das Soziale, dass was noch davon übrig ist, komplett verschwunden ist?

     

    Wäre dann die Wettbewerbsfähigkeit mit der sog. „Dritten Welt“ erreicht? Aber die Verantwortlichen vergessen, „Die soziale Sicherheit ist das Vermögen der kleinen Leute“. Wenn die auch noch verschwindet, bleibt den sog. Kleinen Leuten noch was? Sich in das Heer von noch mehr Arbeitslosen einzuordnen, und nur noch Suppenküchen, was man heute „Tafeln“ nennt, vor dem Verhungern bewahren?

     

    Austerität hat noch nie in der Geschichte funktioniert!

  • Bedingt durch das Austeritätsdiktat ist, neben vielen anderen Einschnitten, der Mindestlohn in Portugal auf € 3,74/h gesenkt worden.

    Wen wundert es, dass die Bevölkerung die verantwortliche Regierung abwählt?

    Glücklicherweise haben die Griechen und die Portugiesen (vielleicht bald auch die Spanier und Iren) den Mut gehabt, ihre "gesetzten" Parteien abzustrafen und hoffentlich ist auch aus den Fehlern Syriza gelernt worden.

    Eine Entwicklung, die auch Deutschland gut zu Gesicht stehen würde.

  • Ich stimme Ihnen voll und ganz zu. Nur indem wir unseren Blick wieder auf die Frage nach sozialer Gerechtigkeit richten, können wir dauerhaft den Rechten den Wind aus den Segeln nehmen. Denn auch so manche rechte Mitläufer sorgen sich um ihre finanzielle Zukunft. Wie die echten Hardcore-Nazis darüber denken, weiß ich nicht, mit denen lohnt das Diskutieren ja kaum. Aber zumindest die halb-überzeugten Rassisten kann man mit sozialen Fragen vielleicht ein bisschen von der Flüchtlingsfrage ablenken.

  • Varoufakis hat gerade glaubwürdig wissen lassen, daß die neoliberale Troika Syriza seinerzeit untersagte, gezielt die Giga-Vermögen der griechischen Oligarchen zur sofortigen Linderung der griechischen Massenarmut heranzuziehen.

    Wenn die vereinigte portugiesische Linke dergleichen nun in Portugal versucht , etwa durch ne Art "Quantitative Easing" à la Corbyn - evtl. dem Troika-Terror zum Trotz unterstützt durch juristisch konsequentes, Interpol-unterstütztes, evtl. geradezu militantes Zugreifen auf die Giga-Vermögen der portugiesischen Oligarchen, ist das beste linkssozialdemokratische Fürsorge für die sozial Schwachen. Könnte mit entsprechender Medienarbeit gar gelingen.

     

    Nur so kann m.E. die portugiesische Linke dieses sozialpolitische Nahziel g e g e n den Troika-Finanzterrorismus durchsetzen. Mutig,mutig! Ich wünsche ihr charakterfestes Standing

    gegen das finanzterroristische Brüssel-Berlin-Konzern-Kartell!

     

    Die kapitalistische Tiefenkrise (transformationsmarxistisches Stichwort:"Mehrwertmassenschrumpfung" à la Robert Kurz-sorry für die erste Schwerverdaulichkeit dieser begrifflichen Monster) aber ist sehr wahrscheinlich unheilbar und die portugiesische Linke wie die EU-Linke insgesamt sollten sich schon jetzt zusätzlich zu ihrer menschlich respektablen Nahziel-Politik-(Ernst Bloch) für-die-Armen und sozial Schwachen theoretisch und praktisch-politisch auf das Fernziel der Realisierung eines historisch n e u e n ökonomischen und politischen (solidarökonomisch-rätedemokratisch?)Paradigmas hin orientieren. Sonst wird die portugiesische Rechte ihren Vorteil daraus ziehen.

  • „…bevor sich die Deutsche Bank verzockte und gerettet werden musste“

     

    Vermutlich bezieht sich dies auf die inzwischen weitgehend überwundene Finanzkrise von Ende des vergangenen Jahrzehnts. Sorry, Herr Wandler, informieren Sie sich künftig besser! Der damalige Deutsche-Bank-Chef Ackermann hatte zwar an der Ausarbeitung des „Rettungsschirms“ mitgearbeitet, betonte aber ausdrücklich, dass die DB NICHT unter diesen schlüpfen müsse und tat dies auch NICHT!

     

    Wenn man sich in Portugal immer noch am griechischen Modell orientieren will, kommt mir das vor, wie politischer Masochismus. Was hat denn die Tsipras Regierung für Griechenland erreicht, abgesehen von den Wohltaten für‘s Volk zu Beginn ihrer Regierungszeit? Man hat sich von einem Rückzahlungstermin zum nächsten gehangelt, ohne dass eine aussichtsreiche Strategie erkennbar wurde.

     

    Dann hat Tsipras das Volk per Volksentscheid gegen die „Forderungen der Institutionen“ abstimmen lassen – und versprach 1 Woche später, genau diesen Forderungen zu erfüllen. Natürlich „ohne innere Überzeugung“ - wie ein Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muss. Immerhin die Hälfte der Griechen konnte er von diesem Kurs überzeugen; das schafft nur ein echter Populist. Außerdem hat er die Spaltung in der linken Bewegung Griechenlands vertieft: Bei den Kommunisten kann er sich nicht mehr sehen lassen.

     

    Die Portugiesen können sich frisch machen, wenn Portugal jetzt auch auf diesen Kurs einschwenkt!

    • @Pfanni:

      Mit Sätzen wie "Sorry, Herr Wandler, informieren Sie sich künftig besser!" wäre ich vorsichtig. Glaushaus und so.

       

      1. Die Deutsche Bank musste nur deshalb nicht (offiziell) unter den Rettungsschirm, weil der Grossteil ihrer toxischen Produkte und Geschäfte mit anderen Finanzhäusern (AIG in USA, HRE und IKB in Deutschland, usw.) lief und nur durch die Rettung dieser wurde die DB indirekt auch gerettet. Unter den wirklich Informierten wird auch die Empfehlung Ackermanns, das ja die Banken alle unter den Rettungsschirm sollen (besonders HVB/Uni Credit) als cleverer Schachzug gesehen um so gerettet zu werden ohne selbst unter den Schirm zu müssen.

       

      2. Syriza und Tsipras haben gewettet und dabei verloren, ja. Wenn man sich aber mal abseits der Mainstreammedien zu dem ganzen Themenkomplex informiert, dann merkt man schnell, dass sie erpresst wurden und sich zwischen Pest oder Cholera entscheiden mussten. Zudem hat man Varoufakis nicht seinen Plan B durchziehen lassen (Austritt aus Euro). Deshalb ist er ja auch zurückgetreten. Tsipras hat entschieden, dass Troika und Austeritätskurs das kleinere Übel ist.

       

      Es ist sehr schade, denn VWL und besonders makroökonomisch gesehen war Varoufakis um Welten kompetenter als die Ökonomen in Deutschland (die übrigens weltweit belächelt werden mit ihren teils 100 jahre alten und falschen Ansichten). Griechenland hätte versuchen müssen so schnell wie möglich mit BRICS Staaten und Co. Beziehungen aufzubauen, damit sich nicht vom Weltmarkt ausgeschlossen sind. Denn genau das wollte die Troika erreichen.

       

      Als Letztes noch: Informieren Sie sich bitte mal dazu, was Schäuble und Co. denn GR gesagt haben, als diese endlich die Schwarzgeldkonten, Steuerbetrüger, Vermögende und Co. zur Kasse bitten wollten. Es heisst ja so oft bei uns in den Medien, dass die GR ja nichtmal ausstehende Steuern ihrer eigenen Leutz eintreiben wollen. Ist ne schöne dreiste Lüge.

  • Bravo! Ein erfrischend ehrlicher Artikel in der zumeist neoliberalen Mediensuppe.

     

    "Wer wie Sigmar Gabriel in Berlin oder Martin Schulz in Straßburg die große Koalition im Interesse der deutschen und französischen Großbanken unterstützt und den einfachen Menschen verschweigen will, wer für die Krise tatsächlich verantwortlich ist, darf sich nicht wundern, wenn Orientierungslosigkeit und Hass auf die dort im Süden so manchen in die Arme der wahren Populisten treibt."

     

    Ausbeutung -> Menschenverachtung -> Hetze -> Hass -> Gewalt

     

    Gegen wen sich zuletzt der Hass entlädt ist oftmals ganz unberechenbar. Leider trifft es auch oft die Falschen. Der "Hass" gegen Flüchtlinge ist ein gutes Beispiel. Anstatt gegen die Verursacher des Leids vorzugehen, wird auf die Opfer herumgetreten.

  • Tut mir leid, aber dieser Kommentar ist sehr schwach! Dass viele Sozialdemokraten vor den sogenannten Linkspopulisten Angst haben, ist nicht bedauerlich sondern logisch. Für viele moderne Sozialdemokraten geht es leider vor allem im wesentlichen um Macht(erhalt). Sie sind vom ehemals Rand des Establishments mitten drinnen im System angekommen. Die ehemaligen sozialen und progressiven Ziele sind ihnen dabei auf diesem Weg längst abhanden gekommen. Moderne Sozialdemokraten haben es nicht mehr so mit der Revolution, wenn sie es überhaupt jemals damit gehabt haben.

     

    In den Parteien wie Syriza und Podemos sehen diese Sozialdemokraten daher folgerichtig eine Konkurrenz. Sie konkurrieren erbittert um Wählerstimmen. Daher würde wohl diese Sorte von Sozialdemokraten eher nicht auf die Idee kommen, das Gemeinsame mit diesen Parteien zu suchen - und das wäre ja der Kampf gegen die Austerität. Vielleicht gelingt es in Portugal, eine Alternative zu entwerfen?

     

    Und nein, anders als Herr Wandler finde ich nicht, dass es "wenig erstaunlich" sei, wenn Orientierungslosigkeit und Hass die Menschen in die Fänge der Rechtsextremen treiben. Das ist nämlich eine Verharmlosung. Es gibt keine Gründe dafür, Rechtsextreme zu unterstützen, ausser eben Hass und Ressentiment. Wer mit den sozialen Verhältnissen unzufrieden ist, kämpft eben gegen den kapitalistischen Status quo, aber wählt ganz bestimmt keine Rechten!

  • Der Schluß scheint mir nicht ganz richtig. Die genannten Eurogegner nämlich sind in der Lage die Finanzpolitik bei derselben Rechnung zu halten, wie sie von den Austeritätspolitikern hochgehalten wird. Nur so bleibt erklärlich wieso zB Ungarns Orban hofiert wird.

    MfG.