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Kommentar Rechtsextremismus im OstenAufgeben gilt nicht

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

In puncto Rassismus und Rechtsextremismus ist ein Teil des Ostens bereits verloren, sagt eine neue Studie. Genau dort muss Politik nun ansetzen.

Freitaler protestieren gegen eine Flüchtlingsunterkunft Foto: dpa

S ind Teile dieses Landes verloren für die Demokratie? Möglicherweise ja, meinen Wissenschaftler des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Aber: Aufgeben gilt nicht.

Ihre aktuelle Studie zu Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland sieht zwar die Ursachen für schockierende Exzesse im sächsischen Freital oder vor der Dresdner Semperoper durchaus in der nicht verarbeiteten DDR-Vergangenheit. Aber ebenfalls in der Politik der Jahre seit 1989. Und im Versagen der Landes- und Kommunalpolitiker, die wegen der schönen Landschaften und der ruhesuchenden Touristen lieber so tun, als handle es sich um bedauerliche Einzelfälle.

Genau hier muss Politik nun ansetzen. Gewaltbereite Demokratiefeinde müssen einem nicht leidtun. Es gibt Gerichte, die sich um Ausfälle und Attacken zu kümmern haben. Aber es muss eben auch zur Kenntnis genommen werden, dass Bürgerinnen und Bürger, die ihre Kinder in strukturschwachen Gegenden um fünf Uhr morgens zum Schulbus bringen oder mit einer Grippe erst mal dreißig Kilometer zum Arzt fahren müssen, das Gefühl beherrscht, dieser Gesellschaft nichts schuldig zu sein.

Dort, in den arm gerechneten Großkreisen, durch die die Großstädter mit dem Familienkombi Richtung Ostsee oder Sächsische Schweiz brausen, kümmern sich längst andere ums Wirgefühl. Rechte Populisten und deren Kleinparteien wachsen hier zu Scheinriesen heran. Dem muss entgegengetreten werden. Populismus, Hetze, Menschenverachtung kann man so leicht überbieten. Aber eben nicht erst vier Monate vor der Bundestagswahl – und dann noch mal während einer kurzen Schamfrist danach.

In vielen Landkreisen kümmern sich längst ­andere ums Wirgefühl

Einen ersten Eindruck, was die entkoppelten Bürgerinnen und Bürger für die parlamentarische Demokratie bedeuten, durfte die Bundesrepublik bei den zurückliegenden Landtagswahlen gewinnen. Es gab gute bis sehr gute Ergebnisse für die AfD, die sich nun freuen darf, ihren Hass diätenfinanziert zu streuen.

Man könnte sagen: Das sind die Ostler. Diktaturprägung und so weiter. Aber das wäre ein denkfauler Reflex. 15 Prozent hat die AfD selbst in Baden-Württemberg geholt. Dass es jetzt im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen noch mal glimpflich ausgegangen ist, ist keine Beruhigung.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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14 Kommentare

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  • 40 Leute haben die für diese Studie gefragt.

    Nämlich diese hier:

    9.1 InterviewpartnerInnen (Freital und Heidenau)

     

    Sebastian Reißig, Geschäftsführer von Aktion Zivilcourage e.V., Pirna

    Herr Dreier, Mitglied der Fraktion SPD/Grüne im Stadtrat Freital

    Herr Menke, Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Stadtrat Freital

    Frau Laski, Mitglied des Freitaler Stadtrates

    Jürgen Opitz, Bürgermeister der Stadt Heidenau

    Frau Ackermann, Mitglied des sächsischen Landtages (Fraktion DIE LINKE)

    Herr Reese, führender Mitarbeiter der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung

    Frau Decker, Lokalredakteurin der Sächsischen Zeitung in Freital

    MitarbeiterInnen des Kinder- und Jugendhilfeverbundes Freital

    Herr Thiele, Mitglied der Fraktion „Bürger für Freital“ im Freitaler Stadtrat

    Herr Tharandt, Lehrer am Weißeritzgymnasium Freital

    Frau Fröhlich, Mitglied der Fraktion DIE LINKE/Grüne im Stadtrat Heidenau

    Dr. Enrico Schwarz, Geschäftsführer von Biotec e.V., Freital

    Herr Lehmann, Fußballtrainer in Freital

    MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung Heidenau

    KommunalpolitikerInnen aus Heidenau

    Mitarbeiterinnen von Zusammenleben e.V., Freital

    Zwei Beamte des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen

    Frau Preuss, Bewohnerin des Stadtteils Heidenau-Süd

    9.2 InterviewpartnerInnen (Erfurt und Erfurt Herrenberg)

    BewohnerInnen des Herrenbergs, die anonym bleiben wollen, 27.10.2016

    Mitarbeiter der Partei DIE LINKE

    Lokaler politischer Akteur, 27.10.2016

    Fanprojekt Erfurt e.V., 30.07.2016

    Fokusgruppe Erfurt,

    Mitglied des Stadtrates für die SPD,

    Journalist des MDR,

    Politischer Akteur aus dem grünen Spektrum A,

    Vertreter des Gemeindevorstands Ahmadiyya

    Mitglied des Stadtrates für die CDU,

    Mobit e.V.

    Bodo Ramelow, Ministerpräsident

    Person aus der Bildungspolitik,

    Politischer Akteur aus dem grünen Spektrum

    Lokale zivilgesellschaftliche AkteurInnen,

    Zwei Personen die anonym bleiben wollen

  • So reagiert die CDU Sachsen - typischer geht es nicht:

     

    "Die sächsische Union reagierte auf die Vorwürfe mit scharfen Attacken gegen Gleicke: „Man muss sich mittlerweile ernsthaft fragen, ob die so genannte Ost-Beauftragte der Bundesregierung ihren Job noch richtig versteht“, sagte Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer der Deutschen Presse-Agentur. Gleickes Aufgabe „sollte es eigentlich sein, als Stimme der ostdeutschen Länder in der Bundesregierung dafür zu sorgen, dass sich der ökonomische und infrastrukturelle Aufholprozess beschleunigt“.

     

    Die in der Studie erhobenen Vorwürfe wies Kretschmer zurück. Der Kampf gegen Rechts sei für die sächsische Union eine wichtige Aufgabe. „Wir stehen seit jeher für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Rechtsextremisten.“ Zugleich warnte er davor, „den Menschen einzureden, dass Heimatliebe, eine starke regionale Identität und ein patriotisches Bekenntnis zu seiner Heimat Zeichen rechten Gedankenguts seien.“ Vielmehr sei dies „zusammen mit der Anerkennung unserer Leitkultur die Basis für eine erfolgreiche Integration von Zuwanderern.“"

    http://www.dnn.de/Mitteldeutschland/News/Saechsische-Union-attackiert-Ostbeauftragte-wegen-Extremismusstudie

     

    Kretschmer gehört auf alle Fälle zu denen, für die keine große Hoffnung mehr besteht, zu verstehen, was es zu verstehen gilt.

  • Ich verstehe nicht so genau, was man da jetzt machen soll!?

     

    Ok, ich verstehe, die Leute in Sachsen denken und wählen rechts.

     

    Was aber sind die konkreten Vorschläge, solange diese Menschen nicht gegen Gesetze verstoßen, man kann sie ja nicht zur Einsicht zwingen oder?

     

    Vor allem, wer soll das denn machen? Sollen wir jetzt lauter Pioniere aus dem Westen schicken?

  • Und ja, irgendwie hatte sie recht damit. Und wie oft fiel das Wort:" MannOhMann, wir brauchen euch doch nicht, wir können das alles doch selbst. Und diese Sätze hatten ihre tiefere Ursache auch in diesem "Was wollen die Fremden eigentlich B E I U N S ?

    Es gäbe noch sehr viel dazu zu sagen und zu erzählen. Bin gespannt auf die Lektüre des Gutachtens.

    Ich glaube eine Frau aus Erfurt, die ich auf meiner ersten Fahrt nach Potsdam traf, hat einen wunderschönen Satz gesagt, der vieles auf einen Punkt bringt: "Ihr Wessis denkt immer 'Dächer gut, alles gut", aber ihr werdet euch noch furchtbar wundern.“ Genau!!

    • @SUDEK:

      Es gibt keinen Osten und Westen mehr! Wer immer noch in Mauern denkt oder weitere Mauern baut, auch wenn nur imaginäre, hat es gar nicht kapiert, wie viel Leid und Opfern hat diese Mauer zwischen Westen und Osten gebracht!

       

      Was würden Juristen dazu sagen? Ursache-Wirkungs-Kette! Wer war also daran schuld?

       

      Und Historiker würden ja auf Adolf H., NSDAP, Rechtsextremismus, Fremdenhass usw. mit dem Finger zeigen!

  • Liebe Anja Maier,

    Du kommst aus dem Osten, bist auch dort geboren und hast insofern sicher den gefühlsmäßig besseren Blick auf den Osten.

    Was mich an dem Göttinger Gutachten jetzt nervt, sind die Voraussetzungen!

    Warum wurde nicht gleichzeitig eine z.B. Rostocker Wissenschaftler-Gruppe mit der Untersuchung der Ursachen des Rechtsradikalismus in Dortmund und Duisburg beauftragt - Ost analysiert West - und die Göttinger Wissenschaftler Dresden und Erfurt -West analysiert Ost.

    Das fühlten sich Ostler und Westler irgendwie besser.

    Obwohl ich Dortmunder bin, kann ich zu der Entwicklung dort nichts sagen, da ich von 1993 bis 2003 im Osten/Brandenburg war - also zeitlich vor der medialen Aufmerksamkeit Richtung Rechtsradikalismus. Es gab allerdings schon den Mord in Guben und einige andere RechtsMorde.

    Was mir in den ersten Tagen im Osten auffiel, waren die makabren Witze der Ostler über Fremde. Und da gehörten 1993 auch Matthias Platzeck und Günther Noke dazu, die damals noch bei den Grünen waren. Bei der Erstellung eines "Ausländerkonzeptes für die Landesgrünen" im Potsdamer Rathaus war ich dabei und es wurde mir bei den Witzen richtig schlecht. Platzeck wird sich sicher nicht mehr heute an diese Momente erinnern, er hat sich seit diesen Tagen ja auch weit inhaltlich von den damaligen Texten und Witzen entfernt.

    Aber diese Erfahrungen musste ich oft machen. Irgendwie hat sich niemand etwas Böses dabei gedacht und mein jeweiliges Gegenüber war total irritiert, wenn ich mein schockierendes Gefühl artikulierte. Schließlich habe ich mich damals fast daran gewöhnt - bis die Sache mit Pegida begann. Da habe ich meine damaligen Erlebnisse plötzlich anders eingeordnet. Ja, da musste bei vielen Menschen, denen ich begegnet war, etwas ganz tief verankert sein, was nun an die Oberfläche drängte. Die ehemalige Baudezernentin von Cottbus - Frau Kraft aus Mannheim - sagte damals: die ersten Ausländer sind wir Westler

    • @SUDEK:

      "Irgendwie hat sich niemand etwas Böses dabei gedacht und mein jeweiliges Gegenüber war total irritiert, wenn ich mein schockierendes Gefühl artikulierte."

       

      So ging/geht es mir auch einige Jahre später auf ehemaligem DDR-Boden und das auch nicht auf dem platten Land.

       

      PEGIDA war daher eher eine gefühlsmäßige "Erleichterung" für mich, denn da wurde deutlich: Ich habe mir das die ganze Zeit nicht nur eingebildet, was ich erlebt habe, aber anderen nie "beweisen" bzw. glaubhaft erklären konnte.

  • Sehr guter Artikel der die Probleme aufzeigt, die Deutschland vor allem im Osten hat.

    Ganz besonders die CDU muß ehrlich sein und darf ihre Ziele nicht durch Verharmlosung und Tolerierung von Terroristen durchsetzen.

    Rechtsextreme Sympathiesanten in der CDU müssen, genau wie im Amtsapparat und der Polizei, entlassen werden und für begangene Straftaten verurteilt werden.

  • Vor allem muss man sich jetzt auf die Teile des Ostens konzentrieren, die für Rassismus und Rechtsextremismus noch nicht verloren sind. Darüber sollte mal mehr und ausführlich berichtet werden und nicht über jeden feuchten Nazi-Furz und Pegida-Traum vom astreinen Sachsenstamm.

  • Typisch! Für die Wessis die Kohle/Knete/Euronen und für die Polen das Problem...

     

    Wäre man nicht so reflektiert (und "derben Humor" von Kindesbeinen an gewöhnt), könnte man glatt zum AfD-Wähler mutieren angesichts solcher "Witze".

     

    Lassen Sie mich raten, werte*r VIRILIO: Wenn "der Osten" sich nicht grade anbietet, amüsieren Sie sich auf Kosten von Blondinen, Schwulen, Behinderten oder Schwarzen, richtig?

     

    Ich hoffe, das Lachen bleibt Ihnen im Halse stecken, wenn erst mal wieder massenhaft der Stech- bzw. Gleichschritt aufs heilige deutsche Pflaster knallt. Und zwar auch jenseits der Zohnengrenze. Aber vermutlich würden Sie sogar das noch lustig finden.

    • @mowgli:

      Sorry, so was sagen vor Ort sogar gebürtige Sachsen, die einfach keinen Bock mehr auf ihre Landesbrüder und die Amtsstuben etc. haben. In Bayern verhält es sich genauso. Ein Bayer kann Bayer sein, aber seinen Herkunfstfreistaat dennoch sehr kritisch betrachten und auch drüber zu lachen. Das sollten Sachsen auch mal lernen. (Gilt übrigens auch für Deutschland in Bezug auf die Vormauerzeit: Deutsche/r zu sein, bedeutet nicht Deutschland nicht zu kritisieren und zu hinterfragen.)

       

      "Der Osten" - insbesondere Sachsen - bietet sich leider an, er biedert sich sogar gerade zu an, auch wenn mensch das eigentlich gar nicht möchte.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      tja, werte*r MOWGLI, vielleicht haben Sie ja eine bessere Idee, nur raus damit, bin ganz Ohr.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...vielleicht kann man diese Teile ja an Polen verkaufen?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Ähnliche Überlegungen gab's mit Bayern ja auch immer wieder mal. Das Interesse in Polen daran hält sich durchaus in Grenzen.