Kommentar Reaktionen in Frankreich: Ungewollter Krieg
Die Feinde kommen nicht aus der Ferne, sondern aus der Nachbarschaft: Frankreich befindet sich am Tag nach den Anschlägen im Schockzustand.
A m Tag nach dem Attentat auf Charlie Hebdo ist Frankreich im Kriegszustand. Nein, es war kein Alptraum, die Karikaturisten und anderen Mitarbeiter der Wochenzeitung sowie Polizisten sind wirklich ermordet worden. Es gibt in Frankreich Leute, welche jede Form von Kritik der Perversion religiöser Ideen und jeden satirischen Spott zum Schweigen bringen wollen: mit der Kalaschnikow gegen den Zeichenstift. Es geht um die Freiheit zu denken, zu schreiben, zu karikieren.
Der barbarische Anschlag auf die Pressefreiheit wird als Kriegserklärung empfunden. Diesen Krieg hat das Land nicht gewollt, nicht gesucht. Der Kampf gegen den Terrorismus in Afrika, Afghanistan, im Irak, in Syrien oder Libyen war eine Verteidigung gegen eine Bedrohung von außen und eine Vergeltung für Geiselnahmen.
Selbst frühere Terroranschläge wie die von Mohammed Merah in Toulouse wollte man noch als fürchterliche Einzelphänomene erklären und möglichst schnell verdrängen. Doch jetzt ist Frankreich von diesem Krieg definitiv eingeholt worden. Die Redaktion von Charlie Hebdo ist als Kriegsschauplatz zur Frontlinie geworden. Die Feinde kommen nicht aus der Ferne, sondern aus der Nachbarschaft.
Wie diese dazu kommen, in ihrem religiösen Wahn auf friedfertige Zeichner zu schießen und auf Polizeibeamte, die bloß ihre Aufgabe erfüllen, ist für die Franzosen und Französinnen schlicht nicht nachvollziehbar und vergrößert nur den Horror.
Zugleich wächst angesichts der Irrationalität des Terrors die Gefahr „kollateraler Schäden“ wie in jedem Krieg, wo der Hass die Klarsicht und Vernunft verdrängt. Das Risiko ist dabei groß, dass neben den eigentlichen Tätern auch die muslimische Bevölkerung mitverantwortlich gemacht wird. In der Nacht wurde bereits auf eine Moschee in Mans und auf einen muslimischen Gebetsraum in Port-la-Nouvelle geschossen. Und Marine Le Pen fordert ein Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe.
Der Appell zur „union sacrée“ muss darum neben den Parteien auch und vor allem die Muslime einschließen, die auf der Seite der Opfer und nicht der Täter stehen.
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