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Kommentar RatingagenturenDie scheinheiligen Regierungen

Felix Lee
Kommentar von Felix Lee

Merkel, Sarkozy und auch Obama scheint das Urteil der Finanzmärkte über ihre Arbeit wichtiger zu sein als das der Bevölkerung.

W ieder einmal grätscht einer der drei US-Ratingriesen bei der Bewältigung der Eurokrise dazwischen. Nach der am Wochenende erfolgten Herabstufung der Bonität von gleich 9 von 17 Eurostaaten, darunter auch Frankreich und Österreich, hat mit Standard & Poors (S & P) die aggressivste Ratingagentur nun auch den Eurorettungsschirm EFSF im Visier.

Damit fühlt sich erstmals auch die Bundesregierung unmittelbar von S & P attackiert. Nun schwadroniert selbst die Kanzlerin darüber, dass man im Umgang mit den Ratingagenturen mal über eine Änderung nachdenken könnte. Was für ein scheinheiliges Geschwafel. Dass S & P überhaupt imstande ist, die gesamte Eurozone in den Ruin zu treiben, haben sich die Regierungen selbst zuzuschreiben.

Im Zuge der Liberalisierung der Finanzmärkte der vergangenen zwei Jahrzehnte erkannten die staatlichen Regulierungsbehörden zwar durchaus, dass den Kunden immer obskurere Anlageprodukte angedreht werden. Doch statt sich selbst ein Bild über die aus dem Ruder laufenden Finanzprodukte zu machen und sie entsprechend zu beaufsichtigen, überließen sie diese Aufgabe den Ratingagenturen.

Bild: privat
FELIX LEE

ist Redakteur im taz-Ressort "Wirtschaft und Umwelt".

Selbst nach der Lehman-Pleite von 2008 hielten sie es nicht für nötig, staatlich regulativ einzugreifen. Stattdessen übertrugen sie die Aufsicht wieder den privat betriebenen Agenturen Fitch, Moodys und S & P und bauten deren Macht noch mehr aus.

Es stellt sich die Frage, warum Merkel, Sarkozy und auch Obama das schädliche Ermächtigungsgebaren dieser Ratingriesen bis heute zulassen. Der Verdacht drängt sich auf, dass ihnen das Urteil der Finanzmärkte über ihre Arbeit wichtiger ist als das der Bevölkerung. Ratingagenturen schaden der Demokratie.

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Felix Lee
Wirtschaft & Umwelt
war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.
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5 Kommentare

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  • AS
    Andreas Suttor

    Auf Regierungen und Ratingagenturen verbal einzudreschen, ist wenig hilfreich und trifft auch den Kern des Problems nicht. Der Vorschlag, staatliche Institutionen mit der Beaufsichtigung der Finanzmärkte und der Prüfung dubioser Finanzprodukte zu beauftragen, ist abenteuerlich. Die BAFIN - immerhin das beste Pferd im Stall hier in Deutschland - ist ja noch nicht mal in der Lage, den Teilsektor Bankenwesen vernünftig zu beaufsichtigen. Es fehlt Expertise und auch politische Unabhängigkeit.

    Das Problem liegt ganz woanders - nämlich dort, wo sich wesentliche Akteure des Finanzsystems quasi freiwillig dem Urteil der Ratingagenturen unterworfen haben. Viele institutionelle Anleger dürfen qua eigenen Statuts bei Herabstufungen gar nicht mehr investieren - ein Automatismus, der nicht notwendig ist. Allgemein kann man da nur zu einer Rückbesinnung auf alte Bankertraditionen raten. Früher war Kreditvergabe und Investitionsentscheidung eine persönliche Entscheidung des verantwortlichen Bankers, der dem Kunden Auge in Auge gegenüber saß, oft auch eine gewollte Bauchentscheidung. Heute vertraut man Geschäftsberichten und Charts - wohin uns das geführt hat, sehen wir ja gerade.

  • H
    Hans

    Ratingagenturen gibt's schon lange genug, die sind doch nur der Schatten der Entwicklung. Der Kern liegt doch in der verfehlten Wirtschaftspolitik der Industrie- und Wohlstandsstaaten. Das Abwürgen von Konsum und Wachstum, ungerechte Steuersysteme, Niedrige Lohnzuwäche, aber drastische Produktivitätssteigerungen und eine ingesamte vollkommen unausgeglichene Zahlungsbilanz der einzelnen Staaten, selbst im Euro-Raum. Darauf kommt dann noch das deutsch-französische Machtspiel während der Euro-Rettung, die eben nicht gelang. Und das bewertet jetzt eine pro-Markt- und Kapitalagentur negativ, weil's kein Wachstum und keine Perspektiven mehr gibt. Wenn wundert das noch? Es ist ja von Menschenhand dahin gebracht worden - mit und ohne Tripple A oder B ...

  • V
    vic

    Exakt! Solange ein Staat die Triple A Medaille erhält, sind Rating Agenturen ganz toll. Doch wehe die erdreisten sich...

  • JK
    Juergen K.

    Genau.

     

    Sie wollen das.

     

    Schliesslich haben FDP und CDU / CSU jahrelang nur eines als Wahlversprechen gegeben:

     

    SICH aus der Politik herauszuhalten.

  • LB
    Lothar Brenner

    EFSF erkennt Standard & Poors Triple A ab.