Kommentar Räumung des „Dschungels“: Mission erfüllt, Desaster perfekt

Die Operation ist beendet, das Flüchtlingscamp wurde geräumt. Die Behörden feiern ihre logistische Leistung – dazu besteht jedoch keinerlei Anlass.

Ein Flüchtling ist in Calais ein eine Decke gehüllt, die Sonne geht unter

Einer der Flüchtlinge von Calais bereitet sich für die Nacht auf Freitag vor. Er wird wohl draußen schlafen müssen Foto: reuters

Es war ein geradezu bizarrer Moment als Fabienne Buccio, die zuständige Präfektin, vor die Kameras trat und diesen haarsträubenden Satz aussprach: der „Dschungel“ von Calais sei leer, und die Mission seiner Räumung damit erfüllt. Zahlreiche Agenturen, scheinbar ohne Möglichkeit, die Situation vor Ort selbst in Augenschein zu nehmen, übernahmen diese Nachricht, was in den Weltmedien ein enormes Echo fand. Der „Dschungel“ geräumt, und das in nur drei Tagen.

Nur Stunden zuvor war Buccio selbst noch durch das Lager gestiefelt. Möglich, dass Rauch und Gestank der permanenten Brände dabei ihre Wahrnehmung trübten. Falls nicht, muss sie gesehen haben, dass sich dort noch Hunderte Menschen aufhielten. Vielleicht war aber auch der Wunsch der Vater ihrer Aussage. Wie dem auch sei: in einem einzigen Satz machte die Präfektin aus dem Soll- den Ist- Zustand, um sogleich einen Strich unter das Kapitel zu ziehen. Mission erfüllt.

Die Konsequenzen zeigten sich noch in der Nacht: mindestens 60 Minderjährige, die keinen Schlafplatz hatten und zwischen „Dschungel“ und Abfahrtsstelle der Busse im Freien schlafen mussten. Bis nach Mitternacht waren Hilfsorganisationen damit beschäftigt, Schlafplätze für die Jugendlichen zu finden. Die deutliche Botschaft: Wenn die Chefin die Mission für erledigt erklärt, wird auch kein Handschlag mehr getan.

Am nächsten Morgen folgte ein weiterer Akt dieses Desasters: Hunderte Menschen, die sich nun entschlossen, einen Bus in eines der staatlichen Zentren zu nehmen, liefen vergeblich zur Abfahrtsstelle. Es gab schlicht keine Busse mehr.

Über die Räumung des „Dschungels“ kann man geteilter Meinung sein. Das Zerstören einer Behausung ist eine grobe Verletzung elementarster Menschenrechte. Auf der anderen Seite gibt es an den Lebensumständen dort rein gar nichts zu beschönigen, und das Verklären des Camps zu einem sozialen, gar utopischen Projekt ist bedenklich. Dass die Räumung allerdings solche drastischen Folgen hat und diese schulterzuckend in Kauf genommen werden, unterstreicht nur den Zynismus, der aus ihrem offiziellen Namen spricht: „Operation Bergung“.

Ein Detail macht im Nachhinein stutzig: In den Presseerklärungen der Behörden wurde zuvor ein sehr konkretes Schema samt Zahl der Busse und Passagiere genannt, nach dem die Bewohner des Camps abtransportiert werden sollten. Dieses Kontingent reichte von Montag bis Mittwoch. Es scheint fast, als hätte man von Anfang an gewusst, wann der „Dschungel“ leer zu sein hat. Und wer dann immer noch darin ist, kann selbst zusehen, wie es weitergeht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.