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Kommentar Proteste in der TürkeiMauern gegen das Volk

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Der Herbst wird heiß: Statt auf die Demonstranten zuzugehen, baut der türkische Ministerpräsident Erdogan weiter Moscheen.

Die Demonstranten lassen sich von Erdogans Strategie nicht entmutigen. Bild: ap

I n der Türkei zeichnet sich nach dem Aufstand im Frühsommer nun ein heißer Herbst ab. Nachdem Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit massiver Polizeigewalt das Protest-Camp im Gezipark räumen und Hunderte Kritiker strafrechtlich verfolgen ließ, hatte die AKP-Regierung gehofft, es kehre Ruhe im Land ein. Das Gegenteil ist der Fall.

Zwar herrscht rund um den Gezipark und den Taksimplatz nun ein absolutes Demonstrationsverbot, das die Polizei mit brutaler Härte durchsetzt. Dieses Verbot führt allerdings nur zu einer Verlagerung der Proteste an andere Orte. Die neuen Unruhen haben noch nicht die Qualität und den Umfang des Frühsommers erreicht. Es ist allerdings schon absehbar, dass die Protestwoche in Kadiköy eine Fortsetzung dieses Aufstands einleitet.

Denn Erdogans Regierung denkt gar nicht daran, auf die Demonstranten zuzugehen oder gar ihren Forderungen entgegenzukommen. Weiter beschimpft der Ministerpräsident seine Kritiker, rückt sie in den Dunst des Terrorismus und setzt die Betonpolitik fort, der auch der Gezipark zum Opfer fallen sollte. Erst an diesem Wochenende teilte Erdogan der Istanbuler Stadtverwaltung mit, demnächst werde mit dem Bau einer großen Moschee auf einer der Prinzeninseln begonnen.

Die Inseln sind ein Refugium der nichtmuslimischen Bevölkerung, die bereits heftig protestiert. Im Vorfeld des Wahljahres setzt der Ministerpräsident damit nur noch auf seine Kernwählerschaft. Befeuert durch Erdogans Freund-Feind-Rhetorik soll sie ihm auch im Angesichts des wirtschaftlichen Abschwunges noch die Mehrheit sichern. Ob diese Strategie aufgeht, wird erst der März zeigen.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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6 Kommentare

 / 
  • MB
    Mustafa B.

    Claudia Roth:

    " "Wenn das Land den erfolgreich beschrittenen Reformweg konsequent weiter geht, dann muss die EU ihr Versprechen halten und der Türkei eine Beitrittsperspektive ermöglichen"

     

    Auch dafür gibts am Sonntag die Quittung!

  • F
    Fordler

    "Statt auf die Demonstranten zuzugehen, baut der türkische Ministerpräsident Erdogan weiter Moscheen".

     

    Ja, wundert euch (taz) das? Ihr selbst seid doch für mehr Moscheen hier in Deutschland und empört euch über die Schweizer, die dem Einhalt gebieten.

  • G
    gast

    Dieses ach so "demokratische" Verhalten der dortigen Regierung ist hoffentlich Grund genug die Turkei NICHT in die EU aufzunehmen.

  • JI
    jk inc

    Vieleicht sollte Erdogan lieber eine Föderation mit den arrabischen Staaten anstreben, als der EU beizutreten.

  • E
    Ertürk

    Die Machthaber aus der Türkei brauchen unbedingt Unterstützung für den Angriff auf Syrien. Sie werden auch alles tun, um dieses Ziel zu erreichen. Stellen Sie sich bitte eine Regierung vor, die die Bombadierung eigener Staedte von Terroristen zugelassen hat (siehe hierzu Reyhanlı und Gaziantep; es gab hunderte von Toten und wurde mittlerweile bewiesen durch Veröffentlichung geheimer Papiere vom türkischen Militaer), damit Erdogan von Obama um Luftangriff-Unterstützung beten konnte. Zurzeit werden dutzende medizinische Stationen gegen C-Waffen in grossen Staedten (Ankara, Istanbul usw.) installiert. D.h. sie planen wieder eigenes Volk zu bestrafen, um diesmal die Nato-Partner in den Krieg ziehen zu können. Die moderne Seite der Türkei protestiert bisher ohne Erfolg gegen die ultrakonservative autoritaere Regierung. Aus eurer Sicht geht es vorallem darum, um die deutschen Soldaten zu befreien, die derzeit dort positioniert sind. Die Gefahr ist leider grösser, als eingeschaetzt wird. Im Falle eines Kriegs müssen alle Nato-Partner ihre Soldaten zum Kriegsgebiet schicken. Und wenn die Europaer jetzt nicht auf die Strassen gehen und gegen die Beteiligung am syrischen Innenkrieg protestieren, wird es für alle zu spaet...

  • T
    tim

    wer oder was ist "das volk"???