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Kommentar Proteste in PolenDurchregieren? Fehlanzeige!

Kommentar von Barbara Oertel

Da hat sich der PiS-Chef verrechnet: Schnell mal demokratische Grundrechte aushebeln; ein Teil der polnischen Bevölkerung macht da nicht mehr mit.

Die Opposition geht zur Verteidigung der Grundrechte auf die Straße Foto: dpa

P iS-Parteichef Jarosław Kaczyński hat die Rechnung offensichtlich ohne einen wachsenden Teil der polnischen Bevölkerung gemacht. Mal eben so durchregieren und dabei im Schnelldurchlauf den Rechtsstaat, demokratische Grundrechte und die Gewaltenteilung aushebeln? Von wegen!

Anders als in Ungarn, wo vor allem jüngere Menschen den autoritären Kurs eines Viktor Orbán allenfalls mit einem Verlassen des Landes quittier(t)en, haben am Samstag fast eine Viertelmillion Polen in Warschau eindrucksvoll eins zum Ausdruck gebracht: dass sie nicht bereit sind, tatenlos zuzusehen, wie eine selbstherrliche Regierung die Uhren auf null zurückstellt und das Land politisch an den Rand Europas manövriert.

Diese Sorgen sind nur allzu berechtigt. Nach der „Enthauptung“ des Verfassungsgerichts wurden die Medien auf Linie gebracht und die Überwachungsmöglichkeiten der Polizei ausgeweitet. In der vergangenen Woche musste auch noch der von der Vorgängerregierung geschaffene nationale Rat zum Kampf gegen Rassismus dran glauben. Und das in einem Land, in dem die Regierung in der Flüchtlingsfrage Ressentiments und Ängste der Menschen gezielt schürt und die Anzahl fremdenfeindlicher Verbrechen rapide gestiegen ist.

In ihrem Handeln haben sich Kaczyński und seine Leute stets mit einer Kaltschnäuzigkeit über Kritik der Europäischen Union und des Europarates hinweggesetzt, die ihresgleichen sucht. Doch einmal abgesehen davon, dass die Demonstration vom Samstag die größte seit dem Ende des Kommunismus ist: Die Frage ist, wie nachhaltig die Bündelung der oppositionellen Kräfte ist, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Nur anti PiS zu sein reicht nicht. Das gilt insbesondere für die linken Kräfte, die es seit Jahren nicht schaffen, sich neu zu formieren und wieder auf die Füße zu kommen. Jarosław Kaczyński sollte gewarnt sein. Noch sieht er keinen Anlass zur Sorge. Doch das könnte sich als gefährlicher Trugschluss erweisen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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6 Kommentare

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  • Welchen demokratischen Grundrechte werden denn in Polen bitte schön ausgehebelt? Freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit? Sitzen Journalisten in Gefängnissen in Polen? Oder werden vielleicht Wahlen in Polen gefälscht? Trotz gerechtfertigter Kritik würde mir an dieser Stelle wirklich mehr Ausdifferenzierung wünschen. Es hilft nicht weiter, Kaczynski in dieselbe Kategorie wie Erdogan und Putin hineinzuwerfen, was immer wieder getan wird. Und bitte bemühen Sie sich doch durchgängig "Kaczyński" (und nicht "Kazcyński") zu schreiben. Man muss den Mann nicht mögen, um seinen Namen richtig zu schreiben oder schreiben Sie gelegentlich auch die Namen von Seehofer und Merkel falsch?

    • 2G
      25726 (Profil gelöscht)
      @John Vasquez:

      "Welchen demokratischen Grundrechte werden denn in Polen bitte schön ausgehebelt?"

       

      Vielleicht haben Sie Ihr Augenmerk etwas zu sehr auf den Aspekt korrekter Orthographie fokussiert?

      • @25726 (Profil gelöscht):

        Nicht wirklich, mein Augenmerk lag auf fehlender Präzision. Wenn schon, da wird in Polen ein Verfassungsorgan (das Verfassungsgericht) gelähmt und Staatsmedien politisiert, aber keine Grundrechte bedroht. Polen ist nicht einmal soweit wie Ungarn. Ein Minimum an Ausdifferenzierung und Komplexität erwarte ich schon.

  • ...wie eine selbstherrliche Regierung die Uhren auf null zurückstellt ...

    Hahaha, auf "Null"!

    Nee, auf "Mittelalter" wäre richtiger.

  • "Jarosław Kaczyński sollte gewarnt sein. Noch sieht er keinen Anlass zur Sorge. Doch das könnte sich als gefährlicher Trugschluss erweisen."

     

    Gegen Orban gab es in der Anfangsphase auch starke Proteste. Mittlerweile haben in Ungarn scheinbar die meisten Gegner resigniert. Herr Kaczyński setzt wahrscheinlich auf diesen Effekt.

     

    Wichtig wäre es, ein politisches Gegenkonzept zu entwickeln, denn es ist völlig richtig, dass nur dagegen zu sein auf Dauer nicht reicht. Dieses Gegenkonzept kann aber kaum entstehen, wenn die Verfechter neoliberaler Konzepte den Ton angeben. Es ist also Skepsis angebracht, dass sie Proteste letztlich Erfolg haben werden.

  • Ich dachte,das TAZ auch unabhängig und wahrheitnahe über Lage in Ausland berichtet. Leider Kommentar von Frau Oertel ist so weit von realen politischen Lage in Polen entfernt,das nur jederman Lachen darüber kann. Korrespondentin benutzt als Info Quelle über Polen ,gerade diese Medien ,welche mit deutschen BILD Zeitung Gruppe Arm in Arm gehen .Diese Medien nähmlich stellen sich pro verlorene in polnischen Wahlen Partei PO und diese Presse zB, Neewsweek,Gazeta genannt sind als Lügenpresse in Polen,weil offensichtlich und bewusst Informationen manipulieren !!! Demokratie in Polen ist von Regierung beachtet,neue Reformen sind nötig um Abzocken Polnischen Gut von fremde Konzerne zu stoppen,Freie Aüsserung und Meinung auf der Strassen gilt und fast jede unbegrenz demonstrieren darf. Aber von 1/4 Milion Demonstrierenden in Samstag zu schreiben ist grosse Frechheit ,weil gezählt wurde von TV Menschen etwa 45 Tausend Leute ,welche protestieren,weil eigene Profiten und Privilegien zur Szydlo Regierung zu Recht verlieren .Und KOD Gruppierung und linke Kräfte sterben langsam aus weil haben es Menschen von komunistischen Genossen aus PZPR -Partei und Innenministerium (polnische Stasi -leute) gebildet.Und junge Menschen während letzten 8 Jahren, in Milionen Höhe nach Ausland auswanderte,weil so sich alte Regierung so um Banken und fremde Konzerne kümmerte, aber eigene Volk formlich vergessen und ausgebeutet hat...