piwik no script img

Kommentar Proteste SpanienEuropa zerfällt

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

In Spanien protestieren Gewerkschaften und Organisationen gegen die Sparmaßnahmen der Regierung. Hilfe aus Brüssel gibt es nicht umsonst, das ist das Problem.

D er „Marsch auf Madrid“ vom Samstag bildete den Auftakt für einen geplanten heißen Herbst. Gewerkschaften und 900 Organisationen aus dem ganzen Land wollen das Sparpaket von 65 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren nicht einfach hinnehmen. Die Hauptforderung der Protestierenden ist eine Volksabstimmung über die Bankenrettung und die wohl anstehende Anfrage an die Europäische Zentralbank (EZB), Spanien mit dem Aufkauf von Staatsanleihen zu unterstützen. Hilfe aus Brüssel gibt es nicht umsonst, genau das ist das Problem.

Denn im Wahlprogramm, mit dem Ministerpräsident Mariano Rajoy vor nur zehn Monaten antrat, stand von all dem nichts. Seine Politik ist genau das Gegenteil dessen, was er versprach. Bis auf die Renten ist vor der Kürzungswut der Regierung nichts sicher. Die Menschen in Spanien, auch viele, die den Konservativen ihre Stimme gaben, fühlen sich betrogen. Denn nichts von dem, was sie über sich ergehen lassen müssen, ist demokratisch legitimiert.

Die Krisenpolitik Europas, wird in Berlin diktiert und in den Amtsstuben der Eurokraten umgesetzt. Die nationalen Regierungen sparen dabei wird immer an gleicher Stelle, bei den Sozialausgaben, den Löhnen im Öffentlichen Dienst, bei der Bildung und im Gesundheitssystem. Die Steuern für die breite Bevölkerung werden erhöht, während die Besserverdienenden und die großen Unternehmen verschont bleiben. Die betroffenen Länder sinken immer tiefer in die Rezession. Die Arbeitslosigkeit ist in Spanien auf mittlerweile über 25 Prozent gestiegen.

taz
Reiner Wandler

ist Spanien-Korrespondent der taz mit Sitz in Madrid.

Einst galt den Spaniern die EU als Garant für Freiheit und Demokratie nach langen Jahren der Diktatur. Jetzt ist es genau dieses Europa, das alles aushebelt, auf was die Spanier stolz sein dürfen. Nicht nur der Wohlstand, auch die sozialen Rechte werden auf dem Altar der Haushaltsstabilität geopfert. Wohin das führt, darüber macht sich keiner Illusionen. Ein Blick ins benachbarte Portugal und nach Griechenland zeichnet den Weg vor.

Dass die einstige Europabegeisterung in Europamüdigkeit umschlägt ist den Betroffenen nicht zu verdenken. Das Zusammengehörigkeitsgefühl in der EU nimmt schweren Schaden. Nicht nur im Süden, auch im Norden kehren die alten Vorurteile zurück. Dies – und nicht nur die reinen Zahlen – sollen Berlin und Brüssel ernstgenommen werden. Europa war einmal mehr als eine gemeinsame Währung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • W
    Wunderlich

    Was hat Doktor Kohl (die Betonung liegt auf Dr.) da für ein Haus gebaut? Kein Fundament; kein Dach;- einfach nichts! Als wir die DM noch hatten, war wenigstens unsere Rente noch sicher.Dass niemand merkt, dass der Traum vom geeinten Europa jetzt schon eine Farce ist. Sollte es eines schönen Tages doch ein vereintes Europa geben, haben unsere Ur-Urenkel schon Bärte. Bisher haben nur diejenigen den Nutzen, die in der DM Zeit zu ihrem "Turbo-Vorteil" schon andere ausgenutzt haben.

  • H
    helmut

    Die Eurokratur mit EURO hatte eine über zehnjährige

    Bewährungszeit.

    Sieht man sich das Ausmaß an Mißwirtschaft,

    von der der EU initiierten Gesundheitsrisiken,

    Sicherheitsrisiken und mangelndes Engagement

    in Erneuerbare Energien in Südeuropa an,

    so ist es richtig die Reißlinie zu ziehen.

    Danach kann man wenigstens die Schuldigen bei

    Mißwirtschaft ganz genau benennen und muss

    nicht mit dubiosen anonymen Beratungsgremien,

    Lobbyvertretungen aus Nicht-EU-Staaten,

    EU-Staaten und Suprainstitutionen Vorlieb nehmen.

    Durch Abwertung der Währung erleben

    eben nur die betroffenen Länder ein Problem und

    nicht gleich ganz Westeuropa!

    Die Billionen-Euro-Vernichtung kann sich keine

    auf Fortschritt bedachte Zivilisation leisten.

     

    Eine Umwandlung der kaum rückzahlbaren Staatsschulden

    in Investitionsauflagen in autonome Erneuerbare Energieinfrastruktursysteme zur langfristigen Abschwächung der Nachfrage nach fossilen Energieträgern und Verbesserung der CO2-Bilanz

    würde deutlich helfen unter Bevorzugung

    der Industrieauftragsverteilung an EU-Partner

    der Geberländer statt China wäre ein richtiger

    Schritt. Aber da hier so gut, wie nie sinnvolle

    Lösungen gesucht werden, sind die Vorteile

    gleich Null. Auch die Ausweitung der Kernkraftwerksbauten in der EU bei ungelöster

    Frage der Atommüllendlagerung, ist so nicht

    hinnehmbar, zumal neuartige Kraftwerke ohne

    Atommüll bereits heute denkbar wären.

    Die EU-Gremien mit ihrer massiven Geldumverteilung

    schaffen mehr intereuropäische Risiken, als das

    sie diese abbauen würden!Deshalb Rückkehr

    zu bewährtem und kein Harmonisierungswahn mehr!

    Man muss auch die Gegensätze der verschiedenen

    Partner akzeptieren anstatt hinwegzudiplomatisieren

    und auch seine Grundwerte verteidigen, anstatt

    sich wegzuducken! Aufrichtigkeit ist schwer, aber

    nur diese schafft Identität!

    Doch die Identität ist das, was viele Eliten

    selbst nicht mehr gewahr sind und was auch Deutsche

    nicht haben sollen. Es wird Zeit sein Recht auf

    Freiheit zu verteidigen!

  • M
    Matthias

    Würden die Griechen entsprechend der bestehenden Gesetzgebung Steuern* zahlen, hätte Griechenland den grössten Primärüberschuss Europas! Es bräuchte keinen Cent aus Berlin - es könnte sogar den Spaniern und Italienern aus der Krise helfen.

     

    *Die Steuerhinterziehung wird auf 8-10%-Punkte des Sozialprodukts geschätzt.

  • N
    Nordwind

    @Erzaehle

     

    wow, ein echter Großökonom.

     

    Genau diese Überlegung würde zu einer langfristigen und stark ausgeprägten Aufwertung der deutschen Währung führen in deren Folge der Export einbrechen und die Arbeitlosigkeit zunehmen würde.

     

    Schon der Gedanke, dass unterschiedliche Währungen gegeneinander nicht 1 zu 1 verrechnet werden können scheint so manchen schwer zu überfordern.

  • E
    Erzaehle

    Das ganze Problem ist ziemlich einfach und nachhaltig zu lösen!

    Deutschland steigt aus der Kunstwährung EURO aus und der Club Med kann den Euro auf/abwerten wie sie wollen. Können gegenseitig Anleihen kaufen und mit Olivenöl bezahlen.

  • C
    Cometh

    Die Krisenpolitik in Spanien wird nicht in Berlin diktiert.

     

    Niemand hindert die Spanier, ihre Eliten zur Kasse zu bitten. Für die Griechen, Italiener und Franzosen gilt das gleiche.

     

    Warum berichtet die Taz nicht darüber, dass offenbar eine Clique von Politikern in den Südstaaten ihren angehäuften Reichtum nicht solidarisch abgeben will? Stattdessen verfällt man auf den Ausweg über dt. Steuergeld.

     

    Weil es die eigenen Leute sind ? Ihr könnt das doch viel besser ...