Kommentar Plädoyers im NSU-Prozess: Der Drang nach dem Schlussstrich
Mit ihrem Plädoyer bricht die Bundesanwaltschaft die Opfererzählung Beate Zschäpes. Sie legt sich aber an anderer Stelle fest.
N ach 375 Prozesstagen und mehr als vier Jahren haben im NSU-Prozess tatsächlich die Plädoyers begonnen. Und die Bundesanwaltschaft setzt zunächst ein klares Zeichen: Sie bricht mit der Opfererzählung Beates Zschäpes. Alle NSU-Taten waren nur das Werk von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Zschäpe hingegen habe diese nicht gewollt und war nur die unterdrückte Mitläuferin. So hatte es die Hauptangeklagte selbst im Prozess schildern lassen. Und so hatte es auch ein von ihr bestellter Gutachter dargestellt.
Es könnte so gewesen sein. Nur spricht fast nichts dafür. Zeugen schilderten Zschäpe als durchsetzungsstark, als aktive Rechtsextremistin, die Waffen sammelte und vor dem Untertauchen für mehr Radikalität plädierte. Und plötzlich ist sie nur noch die Geisel ihrer Kumpanen? Die Ankläger gehen dem nicht auf den Leim: Zschäpe sei gleichwertige Mittätern gewesen, der „entscheidende Stabilitätsfaktor“ des Terrortrios. Und die Bundesanwälte haben dafür eine akribische Sammlung an Indizien zusammengetragen.
Befremdlich aber ist: Wie die Bundesanwaltschaft gleichzeitig ihren Drang nach einem Schlussstrich artikuliert. Alle Opfer seien „willkürlich“ ausgesucht worden, betonte sie. Es habe – außer dem Trio und den vier Mitangeklagten im Prozess – keine weiteren Mittäter gegeben. Alles andere seien „Irrlichter“, sei „Fliegengesumme in den Ohren“.
Allein: Es sind nicht wenige Opferfamilien, die überzeugt sind, dass lokale Helfer den Attentätern die teils versteckten Läden ihrer erschossenen Männer, Brüder oder Söhne gezeigt haben müssen. Es sind gleich eine Reihe an Zeugen, die beim Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter mehr als zwei Täter gesehen haben wollen. Und es sind schließlich auch Aufklärer in den Untersuchungsausschüssen wie der CDU-Mann Clemens Binninger, die an weitere Mittäter glauben. Alles Irrlichter? Wohl kaum.
Die Aufklärung darf noch nicht ruhen
In der Tat spricht vieles dafür, dass wir immer noch nur einen Teil der Wahrheit über den NSU-Terror kennen – wahrscheinlich auch nur einen Teil der Helfer und Mittäter. Dass sich die Bundesanwaltschaft jetzt derart festlegt, ist ein schlechtes Zeichen. Denn es liegt an ihr, nach diesen möglichen Unterstützern weiter zu suchen. Immer wieder äußerten die Opferfamilien eine Sorge: Dass da draußen noch Mittäter des NSU-Terrors frei herumlaufen. Ausgeräumt ist diese Sorge nicht. Und solange das so ist, darf die Aufklärung nicht ruhen.
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